Teil 3
Eigentümlickeiten
am Grundriss
Schiefwinkliges
Kreuz
Die größte
Eigentümlichkeit ist der fehlende zu erwartende rechte Winkel (B
51) der beiden Hauptstraßen des sich zeigenden Straßenkreuzes.
Ist es denkbar, dass ein damaliger Baumeister ein schiefwinkliges Straßenkreuz
plant? Wie hat sich dieses Kreuz gebildet, denn eine Wachstumsstadt
gehorcht anderen geometrischen Gesetzen, wie wir jetzt wissen.
Südliches-
und Nördliches System
Die Nebenstraßen
folgen einerseits dem Niederen- Oberenstraßenzug und andererseits
der Straßenflucht von Riet- und Bickenstraße in einem Parallelstraßensystem.
Bisher bestand die Auffassung, dass durch diese verschiedenen sich bildenden
Straßenbereiche ein zeitlicher Versatz begründet sei und
eine Mehrphasigkeit des Villinger Grundrisses gegeben ist, der sich
über einen sehr langen Zeitraum entwickelt hat. Außerdem
ist die bisherige Meinung, dass das Münster- und Hafnerviertel
der ältere Teil Villingens sei.
Die beiden Hauptstraßensysteme
stehen in einem Winkel von 73 Grad aufeinander. Die Niederen- und Oberenstraße
bildet mit der Gerberstraße und Bärengasse, der Färber-
und Kronengasse, der Johannitergasse, der Schaffnei- und Thomasgasse,
der Paradies- und Bogengasse, Teile der Zinsergasse und der Anker- und
Kapuzinergasse ein eindeutiges orthogonales System. Dieses ist das südliche
System (B 56).
(B 56)
Die Riet- und
Bickenstraße bildet mit der Josefsgasse, der Kanzleigasse, der
Hans-Krautgasse, der Rathausgasse, der Webergasse, und der Brunnenstraße-
Schlößlegasse ein nördliches schiefwinkliges Paralellstraßensystem
(B 57) zusammen mit der Rietstraße aus. Weshalb diese Richtungänderung
vorgenommen wurde, ist sicher spekulativ, jedoch zeigt das südliche
System klar, dass es in das nördliche System ragt mit der Oberenstraße
als Verlängerung der Niederenstraße, die Bärengasse
als Verlängerung der Gerberstraße und die Kronengasse als
planerische Verlängerung der Färberstraße. Gerade diese
Verdrehung der beiden Systeme, mit gleichzeitiger Überlagerung,
zeigt, dass das Festhalten an der übergeordneten Figur, dem Kreuz
bewusst gewollt war.
(B 57)
Diese Eigentümlichkeit
des Villinger Grundrisses war für den in der Einleitung zitierten
Meksepers Anlass für Villingen zu postulieren, diese sei in mehreren
Phasen entstanden. Ein nördlicher, der ältere Stadtteil, und
ein südlicher, der jüngere Stadtteil. Betrachtet man jedoch
im Nördlichen Teil das Straßensystem, so stehen diese Straßen
schiefwinklig aufeinander, im südlichen Teil dagegen orthogonal
bzw. rechtwinklig. Die Entropie ist ein allgemein gültiges Gesetz,
welches besagt, dass sich alles zur Unordnung hin entwickelt. Somit
müsste der südliche Teil zuerst entstanden sein und dann der
nördliche Teil. Auch haben wir gezeigt, dass Villingen keine gewachsene
Stadt sein kann und alle 5 Merkmale für eine gedachte Stadtstruktur
besitzt.
Schulgasse, Rietgasse,
Turmgasse, Badgasse, teilweise Zinsergasse sind nicht eindeutig einem
der beiden Systeme zuzuordnen.
Nun welches Merkmal
bzw. welcher Teil Villingens ist typisch für eine gedachte Stadt?
Wie in den gedachten Städten, Mannheim, Milet etc.hat auch Villingen
eine klare ausgeprägte orthogonale Struktur, nämlich im südlichen
Bereich, in der unteren Stadt. Diese Orthogonalität ist jedoch
nicht nur beschränkt auf den südlichen Bereich der Stadt,
sondern sie erstreckt sich auch in den nördlichen Bereich. Vor
allen Dingen die Straßensysteme Niederestraße- Oberestraße
und Gerberstraße- Bärengasse zeigen nachdrücklich, dass
das nördliche und südliche System miteinander verbunden ist.
Eine Mehrphasigkeit,
wie ihn Mekseper und seine Nachfolger gesehen haben, ist demnach für
Villingen nicht gegeben.
Dieser südliche
Bereich, vor allen Dingen das heutige Krawazi und Teile des Riet, ist
eindeutig als klarste geometrische orthogonale Form Villingens zu definieren,
die auf einen Planungsakt, für die Gründung der Stadt aufgrund
der gezeigten Bedingungen schließen lässt. Auch wurde im
Krawazi der älteste Villinger Stadtfund entdeckt. Eine Faßdaube
von 1136.
Wenn der nördliche
Teil Villingens zuerst gebaut worden wäre, dann hätte sich
Villingen nach der Linienführung der Rietstraße rechtwinklig
ausgerichtet. Der nördliche Teil ist jedoch ein schiefwinkliges
System. Das südliche Stadtsystem ist jedoch ein orthogonales, welche
damit die höhere Ordnung besitzt. Auch aufgrund dieser Überlegung
muß sich Villingen vom Süden aus entwickelt haben. Bis in
die heutigen Tage hält sich die Vermutung, dass der nördliche
Teil der zuerst Gebaute sei. Zu den aufgezeigten Gründen möchte
ich einen anführen, der außerhalb jeglicher Geometrie steht.
Immer dann wenn neue Stadtteile erwachsen, werden die Sozialschwachen
in diese Quartiere verlegt bzw. einquartiert. In Villingen war es das
Ifängle nach dem Krieg oder später das Steppach. Heute ist
es das Schilterhäusle. Bis heute wirkt im Krawazi diese soziale
Differenz gegenüber dem Münsterviertel nach. Eine soziale
mindere Stellung steht deshalb eher für einen Beginn einer Stadt
als umgekehrt. Schon auch aus diesem Grund wäre der Beginn von
Villingen im südlichen Bereich zu suchen.
Stellung des Münster
Eine bauliche
Eigentümlichkeit ist die Stellung des Münsters (B 58) zu den
beiden Straßensystemen. Das jetzige Langhaus des Münster
steht in einem Winkel von 84 Grad zu der Straßenflucht von Niederestraße
und Oberestraße und zum Straßensystem von Riet- und Bickenstraße
beträgt der Winkel 11 Grad. Schon allein diese Tatsache lässt
den Schluß zu, dass das Münster bzw. sein Vorgängerbau
zusammen mit dem südlichen Straßensystem erbaut wurde, da
das Münster rund 5 Grad mehr zum südlichen System steht.
(B 58)
Bei den Ausgrabungen
im Münster wurden zwei Vorgängerbauten freigelegt, worin der
Ursprungsbau nochmals um 1 Grad zum südlichen Strassensystem steht
und man klar sagen kann, dass das ursprüngliche Villinger Münster,
welches mit das älteste Gebäude Villingens ist, mit dem südlichen
System eine orthogonale Beziehung besitzt , die es erlaubt festzustellen,
dass der Vorgängerbau des Münster und die südliche Bebauung
zusammen erstellt wurden.
Im Bildausschnitt
(B 59) ist die orthogonale Beziehung zwischen Kronengasse und Münster
sehr gut zu sehen.
(B 59)
Niedere Straße- Schwedendammstraße
Eine eigentümliche
Wegebeziehung (B 60) ist die Verschwenkung von Niedere Straße
und Schwedendammstraße in Verbindung mit dem stark ausgeprägtem
und einzigem Bogen der Goldengrubengasse, dort wo sie in die Schlößlegasse
mündet. Eine solch starke Ausbildung einer Straßenkrümmung
ist im Straßensystem Villingens sonst nicht erkennbar. Zwar gibt
es in verschiedenen Gassen ähnliche Verformungen, jedoch nicht
in dieser Intensität, wie es im nördlichen Teil der Goldgrubengasse
der Fall ist und bestimmt aus anderen Gründen. Beide Teile, die
Verschwenkung der Niederen Strasse in die Schwedendammstrasse und die
bogenförmige Ausbildung der Goldgrubengasse in die Schlößlegasse
sind für sich allein gesehen recht unbedeutend.
(B 60)
Verbinden wir
jedoch die beiden Teile, so erhalten wir einen Weg, der gebildet wird
durch die Schwedendammstraße und die Gold-grubengasse. Wird die
bogenförmige Gasse weitergeführt, so könnte dieser Weg,
eine alte, vielleicht sogar die älteste Wegebeziehung in Villingen
markieren. Somit wäre der Zugang von der Schwedendammstraße
in die Goldgrubengasse, nämlich die frühere Hüfingergasse
wie sie um 1360 genannt wurde, der ursprüngliche Weg der das Plateau
des Brigachbogens durchschnitt. Die Gerberstraße kann diese Hüfingergasse
nicht gewesen sein, denn der Versatz zwischen Gerberstraße und
Schwedendammstraße ist genauso groß wie zwischen Niederestraße
und Goldgrubengasse. Ein solcher Versatz ist jedoch nur dann an dieser
Stelle erklärbar, wenn sich diese Wegebeziehungen zeitlich entwickelt.
Die alte Schwedendammstraße war und dies ist auf alten Karten
zu sehen, die ursprüngliche Verbindung nach Süden zu den Orten
Rietheim, Klengen, Donaueschingen und Hüfingen. Wenn nun die Stadt
Villingen, sich entlang einer Markstraße hätte entwickeln
sollen, wie dies die Verfechter der gewachsenen Struktur so annahmen,
dann hätte die Goldgrubengasse bzw. Hüfingergasse die Hauptstraße
bilden müssen und die Goldgrubengasse wäre dann ein Teil dieses
legendären Zähringerkreuzes geworden und nicht das Straßensystem
Niederestraße- Oberestraße und Rietstraße- Bickenstrasse.
Hausversprünge
Ebenso seltsam
sind die in den Hauptstraßen sich zeigenden Hausversprünge
(B 61). Der deutlichste Vorsprung ist an der Ecke Ober Straße-
Hans-Krautgasse ( B 61.1) zu sehen und weist auf das verschieben zweier
Richtungssysteme im Quartier hin. Weitere Vorsprünge gibt es an
der Ecke Niedere Straße- Rietstraße (B 61.2). Wobei die
stärkeren Ausprägungen sich an den quartierübergreifenden
Versätzen wie an der Bickenstraße- Bärengasse oder Rietstraße-
Färberstraße und Brunnenstraße- Färberstraße
(61.3 + 61.4) zeigen. Auffallend ist dabei die Tatsache, dass in der
Niedere Straße diese Versätze bis zum Haus Niederestraße
23 nicht vorkommen. Dies bedeutet, dass man auch anhand dieser Versätze
ablesen kann, dass im südlichen Teil der Stadt eine orthogonale
Struktur vorherrscht, denn da gibt es keine Versätze in diesen
Dimensionen wie im nördlichen Teil. Der nördliche Teil der
Stadt muss gegen den südlichen Teil gedreht worden sein und zwar
derart, dass die Gesamtfigur, der Kreuzraum, erhalten blieb. Der gedankliche
und planerische Ursprung, der Plan Villingens, ergibt sich einerseits
aus dem klar orthogonalen südlichen System und dessen Hauptstraßen
die in das nördliche System eingreifen. Diese Hausversprünge
ergeben sich aus der Tatsache, dass das nördliche System zum südlichen
System um 17 Grad gedreht ist. Diese Drehung des Systems ist im Stadtgrundriss
auch anhand der Versätze nachzuweisen. Als anschaulichster Versatz
ist der Blick von der Oberen Straße zum Gasthaus Löwen. Ein
weiteres eindrucksvolles Beispiel ist die Kreuzung Brunnenstraße-
Färberstraße.
(B 61) (B
61.1)
(61.2) (B61.3)
(B 61.4)
Höcker und Riet
Der Höcker
(B 62), der sich an der nord- westlichen Seite des Ovals zu sehen ist,
ist ebenfalls eine bauliche Merkwürdigkeit. Die Frage stellt sich
warum ist dieser Höcker vorhanden. Sicherlich wurde er nicht geplant,
genausowenig wie die asymmetrische Grundrissaufteilung der Stadt. Die
Weststadt ist fast doppelt so groß wie die Oststadt. In der Zeit,
als Villingen geplant wurde, was sich nachweislich aus dem orthogonalen
System des Krawazi ergibt, herrscht "Ordnung" insbesondere
in der Symmetrie. Eine geplante Asymmetrie für eine Stadt um das
Jahr 1000, wie es der "Campus Initialis" für Villingen
vorgibt, halte ich für unmöglich.
(B 62)
Betrachten wir
deshalb das Bild 62 mit besonderer Aufmerksamkeit, so stellen wir fest,
dass die Schulgasse (Strasse im nördlichen Teil) senkrecht zur
Rietstraße steht. Kronengasse, Obere Straße und Bärengasse
stehen jedoch schiefwinklig zur Rietstraße. Dies kann bedeuten,
dass diese Straße später, d.h. ohne Planung, als Ergänzung
des Planes erbaut wurde. Der Plan wurde erweitert oder ergänzt.
Betrachtet man gleichzeitig die Straßenführung von Rietgasse,
Zinsergasse, Badgasse und Turmgasse, so stellen wir fest, dass die Linienführung
dieser Strassen stark geschwungen bzw. geknickt sind.
Zusammen mit der
Ausbildung des Höcker, der sich ergibt, um die sich am Riettor
befindende Motte in die Stadtanlage mit einzubeziehen, wäre es
denkbar, dass ein Teil der westlichen Stadt gar nicht zur ersten Planungsgrundlage
gehörte. Wenn wir die Fläche die westlich der Linienführung
Färberstraße- Kronengasse liegt, gedanklich nicht zum Stadtgrundriss
zählen, so ergäbe sich ein vollkommen symmetrischer Grundriss,
wenn wir ein orthogonales System voraussetzen.
Versucht man die
östliche äußere Form auf die westliche Seite spiegelbildlich
zu übertragen, so ergibt sich ein vollkommener städtebaulicher
Grundriss (B 63). Solche Annahmen, dass ein vollkommener Plan aus welchen
Gründen auch immer Änderungen unterworfen ist, ist auch in
unserer Zeit denkbar bzw. Realität.
(B 63)
Wenn man nun diese
6 ausgeprägtesten grundrisslichen Eigentümlichkeiten zusammenfasst,
so ist sicherlich der naheliegenste Unterschied des Stadtgrundrisses,
dass es zwei verschiedene Ordnungssysteme in diesem Stadtgrundriss gibt,
wobei das südliche System die höhere Ordnung besitzt, denn
eine gerade Wand besitzt eine höhere Ordnung wie eine mit Versätzen.
Dies deckt sich mit den Hausversprüngen, die überwiegend nur
im nördlichen System vorkommen. Das Bindeglied zwischen den beiden
Stadtstrukturen sind einerseits die Nord- Südstraßen und
die Stellung des Münsters. Die ursprünglichste Wegebeziehung
ist wahrscheinlich die Schwedendammstraße mit der Goldgrubengasse.
Nur von dort hätte sich die Marktstraße in einer gewachsenen
Stadt entwickeln können. Die spiegelbildliche Deckung der 4 Stadtviertel
führt zu einem Stadtgrundriss der Vorbild für die erdachten
und geplanten Stadtgründungen in dieser Zeit war, denn er vereinigt
das Paralellstraßensystem mit dem Kreuzraum.
Aus den vorgenannten
Überlegungen ist folgendes abzuleiten. Die Stadt wird von Süden
bebaut. Die 5 Nord- Südlichen Straßenzüge bilden das
erste Bebauungsgerüst. Heute noch erkennbar an der Bebauungsstellung
der Gebäude. Die Quergassen werden ebenfalls im gleichen Zeitabschnitt
bis zur Schlößlegasse fertiggestellt, so daß sich im
südlichen Bereich eine orthogonale Struktur bildet. Zeitgleich
mit den Straßenfestlegungen und den ersten Bauten wird mit dem
Münsterbau angefangen. Bei der Festlegung der Richtung der Rietstraße
muß das Münster schon in seiner Fundamentierung festgelegt
worden sein. Ab dem Querrippensystem
Schlößlegasse- Brunnenstraße wird die Stadt im Bereich
der 5 Nord- Südlichen Straßenzüge durch die im nördlichen
System vorherrschende Richtung weiter bebaut. Weshalb es zu dieser Änderung
des Richtungssystemes kam, wird im Dunkeln bleiben. Westlich der Zinsergasse
wird die ursprüngliche Stadt ergänzt. Die Änderung vom
vollkommenen Grundriss zum heute bekannten ist an Diesem selbst ablesbar.
Die Niederestraße ist keine gewachsene Marktstraße, sondern
Teil eines Straßenkreuzes welches auf einem geistigen planerischen
Akt gründet. Der Straßenzug Niederestraße- Oberestraße
ist auch wegen seiner Länge, höherrangig gegenüber dem
Straßenzug Rietstraße- Bickenstraße. Über den
Kreuzraum läßt sich in vielfacher Hinsicht auch in dieser
Zeit nachdenken und philosophieren.
Zwischen Mensch (en) und Werk ist Harmonie: dies ist die Hauptsache
Le Corbusier
Recht auf Veränderung?
Die Stadt Villingen
ist bis um das Jahr 1800 eine vollkommen intakte Stadt des Mittelalter.
Alle baulichen Elemente, die sie kennzeichnen sind noch vorhanden: Das
zweifache Mauersystem, die Stadtbäche, die 4 Tore, die vorgelagerten
Erker etc. der abgeschlossene Straßenraum. Zur Verdeutlichung
dient die Beschreibung des Martin Blessing von 1806, die als Untertitel
auf seinem Plan steht.
"Villingen
liegt im Schwarzwald in einem angenehmen und ebenen Thal am Flüßgen
Brieg, hat doppelte Mauern und Gräben, kan ungehindert umgangen
werden von außen und dem Rampun. Die Gaform sind regulair aber
nicht ganz mathematisch, die Häuser sind zu 3 dar 4 Stockwerk.
Es hat in der inneren Länge 764 in seiner Breite 525 und in dem
Umfange 2582 große Maasschritte, 673 Hofstätten, 609 Familien,
590 gezeichnete Käufer, 5 Klöster, eine Comendur und mehrere
öffentliche Gebäude, ist 104 Schritt länger und 45 breiter
als Rottweil. Kan in ½ Stunde umgangen werden."
Wenn man in den
heimatlichen Geschichtsbücher nachliest, dann werden die Eingriffe
an den Baulichkeiten der Stadt in Verbindung gebracht mit den Entwicklungen
der damaligen Zeit.
Die Revolution
soll einen freiheitlichen Gedanken in den Bürgern ausgelöst
haben.
In den damaligen
Zeitungsausgaben kann man jedoch auch nachlesen, dass auf ihren Vorteil
bedachte Bürger verantwortlich für den Abbruch der Mauern
waren, denn sie erkannten darin einen billigen Steinbruch. Der innere
Mauerabbruch begann an der Südfront, wo der Glockengießer
Grüninger beim Glockenhäusle die Mauer auf eigene Faust abtrug.
Die Mauerreste werden bis zum Jahre 1900 auf die heutige Situation zurückgebaut.
Die Abbruchphase
begann 1813 mit dem Bügeleisen und endete 1868 mit dem Erker des
Bickentores. Der bedeutende Eingriff in die Stadtanlage durch den Abbruch
des Niederen Tores bedarf einer vertieften Betrachtung der Umstände
die zu diesem Abbruch geführt haben. Gleichzeitig wird anhand der
baulichen Entwicklung des Niederen Torbereiches die gedanklichen Einflüsse
dieser sich bildenden Objekte dargestellt im baulichen Wachstumsprozess.
Am 17 Februar
1845 findet in der badischen Kammer eine Beratung über den Standort
von 15 Strafgerichtshöfen statt. Die Städte Hüfingen
und Donaueschingen haben sich für diese neue Institution beworben.
Eine großherzogliche Kommission besucht die Stadt Villingen und
prüft deren Geeignetheit. Die Kommission versammelt sich im Gasthaus
Sonne mit den Gemeinderatsmitgliedern und etwa dreißig Bürgern.
Ein Redner sprach: " Sie gehen einer freudigen Zukunft entgegen.
Eine Anstalt wird bei Ihnen gegründet, die segensreiche Früchte
tragen wird......." Diese segensreiche Frucht war verbunden mit
dem Abbruch des Niederen Tor und der inneren Mauer zwischen Zinsergasse
und Gerberstraße.
Im Jahre 1846
werden 2 höchstgewichtige Gegenstände in der Stadt diskutiert,
nämlich der Bau der Eisenbahn und der Bau des Bezirksstrafgerichts.
Ebenso wird im Jahre 1846 entschieden, dass das Bezirksstrafgericht
an der südlichen Seite der Niederenstraße gebaut werden soll.
Im Frühjahr
1847 wird mit dem Abbruch des Niederen Tores begonnen. Die Grundsteinlegung
für das neue Bezirksstrafgericht, heutiges Amtsgericht (B 64 +
64.1 ), findet am 25 Juli 1847 statt.
(B 64) (B
64.1)
Es entsteht ein
zur Stadt überdimensioniertes Gebäude im klassizistisch historisierenden
Stil, welches ein baulichen Anspruch verkörpert, der bisher nur
den Kirchen- und Klostergebäuden an den 4 Enden der Stadt zugestanden
wurde. Das Gebäude nimmt die Flucht der westlichen Niederestrasse
auf. Die Grundriss- , aber auch Gebäudegröße wird negatives
Vorbild für Gebäude, die zukünftig in der Villinger Innenstadt
entstehen werden bzw. entstanden sind.
Die Niedere- Tor-
Problematik und die Bebauung südlich der Bertholdstraße,
habe ich in meiner Schrift die "Chance des Niederen Tor" ausführlich
dargestellt, weshalb ich hier nicht näher darauf eingehen möchte.
Das Gesundheitsamt
(B 65, 65.1+ 65.2), ehemaliges Finanzamt, im Gründerzeitstil gebaut,
situiert sich auf dem freien kleinen Platz zwischen Niedere Straße
und Goldgrubengasse. Die Stellung des Gebäudes zeigt, daß
der Architekt, die in seiner Kunstepoche vorherrschende Auffassung klar
baulich umsetzt. Das Gebäude rückt ohne zwingenden Grund aus
der Flucht der Niederenstraße und zeigt die Schaufassade unmissverständlich
nach Süden, was noch heute ablesbar ist, wenn man das Gebäude
aus der Schwedendammstraße betrachtet. Inwiefern eine zeitlich
begrenzte Kunstauffassung ein Abrücken aus der Bauflucht der Niederen
Straße, einer über damals 900 Jahre erhaltenen Bausubstanz,
rechtfertigt,ist offen. Das Gebäude ist im Jugendstil/Gründerzeitstil
gebaut, der als letzter Baustil, im Stadtoval mehrfach zu sehen ist
bzw. war.
(B 65) (B
65.1)
(B 65.2)
Wichtig ist zu
sehen, dass das Amtsgericht die Flucht der Niederenstrasse aufnahm.
Das Gesundheitsamt nimmt keine Bezüge zum Stadtgrundriss auf, sondern
orientiert sich mit seiner Fassade am südlichen Zugang der Stadt,
der Schwedendammstraße. Bedeutend bei der Betrachtung dieser beiden
Gebäude ist wie gesagt, ihr Umgang mit der vorgefundenen Situation
des Stadtgrundrisses. Beide repräsentieren verschiedene Stilrichtungen,
Neo-Klassizismus und Jugendstil/Gründerzeitstil. Hierbei manifestiert
sich einerseits zumindest die Rücksichtnahme auf eine vorhandene
Straßenflucht, wie beim Amtsgericht, und andererseits das sich
über eine vorhandene Struktur hinwegsetzende planerische und bauliche
Auffassung wie beim Gesundheitsamt. Dies geschah im Zeitgeist der beiden
Stilepochen. Diese Problematik werden wir in den nachfolgenden Betrachtungen,
aber anderen Kunstauffassungen, ebenfalls sehen können.
In den 90- Jahren erhält das ehemalige Gesundheitsamt einen Anbau
und wird als Bankgebäude ausgebaut. Von Bedeutung ist der Anbau
der in die Niedere Strasse ragt. Das damit verbundene Tor kann jedoch
nicht gebaut werden, so dass dieser Anbau als Teillösung des Gedachten
angesehen werden muss. Der tatsächliche Standort des Niederen Tor
ist im Straßenpflaster abzulesen, wo es nach meiner Auffassung
auch wieder errichtet werden sollte und nur an dieser Stelle.
Die Verbindungshäuser
(B 66) entlang der ehemaligen neuen Wallstraße, zwischen Niedere
Straße und Färberstraße werden gebaut und richten sich
streng nach dem orthogonalen Stadtsystem aus.
(B 66)
Die rechtwinklige
Weiterentwicklung aus den bestehenden Quartieren des südlichen
Systems ist klar erkennbar. Die frühere äußere gekrümmte
Form des Stadtoval wird aufgegeben.
Die Höhenentwicklung
der Baulichkeiten in der Gerberstrasse 53, 55, 57 und 59 (B 67, 67.1+
67.2) zeigen, dass sie sich dem angrenzenden Bankgebäude anpassen
und deren Höhe übernehmen. Welche Höhe die ehemalige
zur heutigen Bebauung der Gerberstrasse besaß, zeigt das Haus
Gerberstraße 61 (B 67.1). Auch die größere Grundstücksausnutzung
ist erkennbar, speziell im rückwärtigen Bereich.
(B 67) (B
67.1)
Das Bankgebäude
in der Gerberstrasse wird erweitert über die Paradiesgasse (B 68,
68.1, 68.2 + 68.3) hinweg. Als Ersatz für das Cafe- Wehrle etabliert
sich ein 4- geschossiger Baukörper in der Paradiesgasse 4. Die
Arkadenausbildung und die bankinterne Brücke sind fremde Bauelemente
in Villingen. Diese Bauformen gab es in dieser Stadt nicht. Die historische
Aufnahme zeigt, dass aus einer ehemaligen schmalen Gasse eine breite
Gasse mit angrenzender Bebauung wurde, an deren Stelle früher eine
Mauer stand.
(B 68) (B
68.1)
(B 68.2) (B
68.3)
Der Innenhof der
Johanniterkirche (B 69) wird mit einem viertelkreisförmigen Anbau
überbaut. Der Vergleich mit Karlsruhe liegt nahe, wo ein radiales
System mit einem orthogonalen Baukörper bebaut wurde, so wird in
Villingen in diesem Innenhof ein orthogonales System mit einem kreisförmigen
Baukörper überbaut.
(B 69)
In der Hafnergasse
(B 7 + B 7.1) wird der Straßenraum durch einen überdimensionierten
Aluminium-Glas- Wohnerker eingeengt. Die Größe dieses Erkers
wäre, wenn überhaupt in den 4 Hauptstrassen abzuleiten. Wie
man in der heutigen Zeit das Gebäudeelement eines ehemaligen Heuaufzuges
benutzt, um formal eine grössere Wohnfläche zu erhalten, zeigt
diese Aufnahme, denn das historische und das formal abgewandelte Gebäudeteil
ist klar auf dem Bild zu erkennen.
Wie durch das
Bankgebäude in der Gerberstraße und dem ehemaligen Hotel
Blume-Post an der Ecke Bicken- Niedere Straße, findet der gleiche
Wachstumsprozessprozess an der Rietstraße 5 und der Färberstraße
3-9 (B 70+70.1+70.2) statt.
(B
70) (B
70.1)
Mehrere kleine
Hofstätten (Grundstücke), eines der Grundelemente des Villinger
Stadtgrundriss, werden zusammengefasst, um möglichst viel Handels-
und Grundfläche zu erhalten. In der Färberstraße ergibt
sich eine Wandhöhe die die bisherige Bebauung um über ein
Geschoss überragt. Die Stockwerkshöhen sind in der Stadt Villingen
in dieser Höhe nicht abzulesen und sorgen mit den überdimensionierten
Fensterabmessungen und der überdimensionierten Eingangssituation
in der monumentalen Flächengeraden unbegrenzt erscheinenden Wand
für einen Anspruch die diesem Gebäude in diesem Quartier von
Villingen nicht zusteht. Gleichzeitig zeigt diese Wand eine Entwicklung
im Innern Villingens auf, wie dies in der äußeren baulichen
Entwicklung der letzten rund 30 Jahre ablesbar ist. Die in unmittelbarer
Nachbarschaft zur historischen Alt-stadt sich entwickelten Großprojekte
wie Volksbank, Marktkauf und Morrission- Nachfolger zeigen die Entwicklungsmöglichkeit,
wie sie Villingen auch im Innern nehmen kann bzw.-wird. Diese überdimensionierte,
glatte, im Verhältniss zur typischen Villinger Bebauung überproportionierte,
farbkaschierende Wand in der Färberstraße, ist hoffentlich
die Scheidewand hinsichtlich der städtebaulichen Entwicklung, die
das historische Villingen zukünftig nehmen wird.
Die Vergleichsmöglichmöglichkeit
in der Gerberstrasse (B 71 + B71.1) zwischen historischer Aufnahme und
heutiger Realität zeigt, dass das Ersatzgebäude um ein Geschoss
höher gebaut wurde. Desweiteren sind Pfeiler zur Straße vorhanden,
die die Wandstruktur der Gerberstraße durchbrechen. Das Erdgeschoss
ist offen, was ebenfalls ein Bruch hinsichtlich der geschlossenen Wände
in dieser Strasse bedeuten.
(B 71) (B
71.1)
Über die
Ausformung der beiden Gebäudekuben (B72+72.1) ist der Leser aufgefordert
selbst zu entscheiden. Die Ausbildung des Aluminiumerkers ist jedoch
ein störendes Element im Raum der Färberstraße.
(B 72) (B
72.1)
Die Ablösung
verschiedener Architekturauffassungen (B73+73.1). Das Betonskelett mit
dazwischenliegenden Fensterelementen löst das Mauerwerk mit ornamentalen
Fensteröffnungen in den 3 oberen Geschossen ab. Ist im historischen
Gebäude das Sockelgeschoss auch baulich gestaltet, wird im Nachfolgegebäude
das Erdgeschoss total verglast.
(B 73) (B
73.1)
Das fehlende Ornament
wie durch Loos in der vergangenen Jahrhundertwende propagiert, ist deutlich
im Nachfolgegebäude (B74+74.1) zu sehen. Auffällig ist, dass
die Wandflucht im Erdgeschoss fehlt und durch eine Eingangssituation
ersetzt wurde. Entspricht eine solche Eingangssituation einem historischen
Stadtensemble?
(B 74) (B
74.1)
In diesen beiden
Vergleichsbildern (B75+75.1) sieht man sehr deutlich wie gerade im Erdgeschoß
eine Veränderung stattfand, die wesentlich durch wirtschaftliche
Überlegungen geprägt sind. Anstatt des durch Fenster geprägten
Bereiches werden nun Schaufenster gebaut. Die Einheit der Fassade wird
zusätzlich durch ein Vordach geteilt. Die beiden Erker sind verschwunden.
(B 75) (B
75.1)
Die 4 Bilder (B76-76.3)
zeigen die Ecksituation an der Bärengasse zur Hans-Krautgasse und
zwar vor und nach der Sanierung. Es ist klar auf den historischen Bildern
zu erkennen, dass ein erheblicher Reperaturanstau vorlag. Betrachten
wir jedoch nur die Gebäudekuben und deren Formen und vergleichen
sie mit der neuen Bausubstanz so ist klar zu erkennen, dass die Vielfalt
in der Einheit einer Gleichförmigkeit mit einer fragwürdigen
Einheit eingetauscht wurde.
(B 76)
(B 76.1)
(B 76.2) (B
76.3)
Der Anblick dieses
Gebäudes (B 77) steht stellvertretend für zahlreiche, wahrscheinlich
sogar die Mehrzahl der Gebäude in den vier Hauptstraßen,
denn dieses Gebäude scheint zu schweben. Die Spitzgiebel, die Pilaster
mit ihren Kapitellen gliedern das Gebäude bis zum 1. Obergeschoss.
Die Erdgeschosszone ist verglast und wirkt als Bruch, als leeren Raum.
Das Gebäude hängt in der Luft. Sicherlich kann ein Statiker
viel erreichen. Die Frage ist nur, wie korrespondiert die Erdgeschosszone
mit dem darüberliegenden Gebäude bzw. wie mit dem Raum der
Niederenstraße.
(B 77)
Dieses Gebäude
(B78) zeigt drei Epochen der baulichen Entwicklung. Eine serielle Gaubenausbildung
der Neuzeit. Die historische klare Gliederung in den beiden Obergeschossen
und die abgesetzte Verglasung in der Erdgeschosszone, dem Verkaufsbereich.
(B 78)
Stilfindung auch
in der Villinger Nordstadt (B79+79.1). Das modernistisch geprägte
Feuerwehrhaus und der übergroße Wohnblock der postmodernistisch
angehaucht ist.
(B 79) (B
79.1)
Drei Gebäude
(B80-80.2), die meines Erachtens mit der notwendigen Rücksichtnahme
zum historischen Stadtbild saniert wurden. Die Erdgeschossausbildung
verschiedener Bauepochen nehmen die historische Gliederung des darüberliegenden
Geschosses auf.
(B 80) (B
80.1) (B
80.2)
Wie auch in der
heutigen Zeit haben auch vor rund 100 Jahren Architekten, dem Architekturbestand
Villingens einen Stil hinzugefügt. Allerdings war dies damals ein
einheitlicher Stil, nämlich die Gründerzeit (B 80) und vor
allen Dingen wurde die Hausfassade in ihrer Ausformung, d.h. Größe
der Fenster und Türen respektiert.
Die Fensterausbildung
im Erdgeschossbereich (B80.1) ist gewagt, jedoch wird die Teilung der
darüberliegenden Gliederung übernommen. Die Spannung zwischen
Alt und Neu ist durch die Materialwahl an einer noch festzulegenden
Grenze. Der nach historischem Vorbild proportionierte Heuaufzug der
nun als Ausblick und Lichteinlass dient und die neu formal ausgebildete
Dachgaupe zeigen ein insgesamt durchdachtes Gebäude, welches den
Spannungsbogen zwischen Alt und Neu sucht.
Ein saniertes
Gebäude (B80.2) zeigt die prächtige Fassade einer vergangenen
Bauepoche in der Villinger Gerberstraße. Beim Ersatz von Alt zu
Neu muss gelten, dass das Neue qualitätvoller als das Alte wird.
Die Aufnahme des
Bildes 81 zeigt einen Blick von der Niederen Strasse in Richtung Süden
und stellt vielleicht am deutlichsten dar, worum es mir in dieser Arbeit
geht. Das im Jahr 1848 erbaute Amtsgericht steht für den Abbruch
des Niederen Tores und gleichzeitig für eine Erweiterung der Stadt
nach Süden. Eine Verzahnung zwischen Altstadt und Südstadt
ist jedoch nie gelungen. In den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts
werden zwei Gebäude errichtet. Das Zwickelgebäude der ansässigen
Bank soll dem zu neu errichtenden Niederen Tor als Anbaugebäude
dienen. Das über der Bertholdstrasse liegende Kinogebäude
ist als Raumabschluss für die Niederen Strasse gedacht.
(B 81)
Diese bauliche
Entwicklung ist städtebaulich gewachsen und dies in einer der bedeutendsten
geplanten Stadtanlagen in Baden-Württemberg.
Es gäbe sicherlich
noch zahlreiche Veränderungen in dieser Stadt, die man erwähnen
könnte, wie z. B. ein über die Stadtmauer ragender Glasanbau,
Abbrüche im Riet etc. etc. Der Leser möge selbst urteilen
und sich am besten vor Ort ein Bild machen, ob diese Veränderungen
des Stadtgrundrisses und damit des Stadtbildes zurecht geschahen. Zum
Schluss der Merkmürdigkeiten in Violinen vielleicht das zeitgeschichtlich
Nächste. Die Villinger Niedere Straße erhält ein Bächle
und schwingt sich durch die Niedere Straße. Warum ist dieses Bächle
gekrümmt? Warum macht es mehrere Schwünge? Welcher planerische
Ansatz liegt diesen Krümmungen zugrunde? War es die Idee eines
sich krümmenden Wiesenbaches. Oder wollte man die Theorie umsetzen,
dass die Straßen Villingens gekrümmt geplant wurden? Dieses
Bächle hätte man nur nach der Richtung, des südlichen
System bauen dürfen, nämlich gerade bzw. orthogonal.
Ein Straßenraum
hat nach meiner Auffassung zwar geschehene, im Ganzen aber nicht zu
erkennende Veränderungen angenommen. Nach meiner Meinung hat dieser
Straßenzug den Charakter, wie weitere Straßenzüge in
Villingen aussehen könnten. Die Brunnenstraße (B 6 + B 6.1)
wirkt als Einheit. Hier sind die Teile nicht individualistisch und überzeichnet
ausgeformt, sondern sie sind mit dem Ganzen in Harmonie, wobei das einzelne
Haus , das einzelne Bauteil jedoch klar ablesbar ist und bleibt. Dieser
Strassenzug hat Vorbildcharakter und ist für mich der Schönste
und Passendste für Villingen, weil er eine Einheit bildet. So könnte
Villingen anhand dieses Beispiels der Brunnenstrasse zu einer Gesamteinheit
werden.
Nun gut, habe Parmenides gesagt.
Wenn Eines ist, so kann es doch nicht Vieles sein? Wie sollte es auch!
Also darf es auch keinen Teil von Ihm geben und es selbst darf auch
nicht ganz sein. Wieso? Der Teil ist doch Teil eines Ganzen. Ja. Und
wie steht es mit dem Ganzen? Ist nicht das, dem kein Teil fehlt, ganz?
Allerdings. Beidemal also bestünde das Eine aus Teilen, wenn es
ganz ist und wenn es Teile hat. Notwendigerweise. Und Beidemale wäre
auf diese Weise das Eine Vieles und nicht das Eine. Das stimmt. Es soll
aber nicht Vieles, sondern das Eine sein. Ja das soll es. Also wird
es weder ganz sein noch Teile haben, wenn das Eine das Eine sein soll.
Sicher nicht.
Parmenides
Zusammenfassung
Es wurde deutlich,
dass es sich bei Villingen um eine gedachte Stadtstruktur handelt. Dies
wurde eindrücklich auch nach mathematisch- geometrischen Methoden
nachgewiesen. Eine gewachsene Struktur kann Villingen, wie gezeigt,
nicht sein, sonst hätte sie einen
3- Wegeknoten als Kreuzung. Villingen ist damit eine einmalige Stadtanlage,
denn nur Villingen besitzt alle Randbedingungen die für eine Neugründung
in der Nähe einer "Alt- Stadt" sprechen. Die Stadt ist
Stadtbaukunst des Mittelalter. Die orthogonale südliche Ausbildung
des Parallelstraßensystems ist eindeutig auf einen Plan, auf einen
Gründungsakt zurückzuführen. Damit kann die kreuzräumliche
Ausbildung der Hauptstraßen wahrscheinlich nur einem gedanklichen
christlichen Gut zugewiesen werden, welches im Jahr 1000 vorherrschte.
War dieser legendäre Bezelin der geistige Vater dieser Stadt? Ist
dieser Stadtgrundriss, dieser Kreuzraum, die Vision des Bezelin oder
seines Baumeister?
Ist es weiterhin
denkbar, dass Bezelin diese Stadt für seinen Kaiser gebaut und
ihm gewidmet hat. Dieses Kreuz, dieser Kreuzraum, derselben räumlichen
Ausformung wie im Kreuzungsrelief von Münchenwiler als Negativform
ist erdacht, wie wir aufgrund der verschiedenen Geometrien bewiesen
haben und auf das südliche orthogonale System zurückführen
konnten. Dieser Raum wird von den Menschen begangen, erlebt und hat
seine eigene Faszination, die auch heute noch nachwirkt.
Die wissenschaftliche
Methode der Dendrochronologie wird noch angezweifelt. Bis eine absolut
exakte Datierung entsteht, wird es nicht möglich sein die Gründung
dieser Stadtanlage genau festzustellen. Wenn wir diese genaue Datierung
jedoch "wissen" wollen, dann geht der Abbruch und das unkontrollierte
Bauwachstum weiter, denn manche wollen wissen und zerstören dabei
diese Stadt.
Diese Stadt hat
einige Kunstepochen überstanden, aber auch von Ihnen profitiert.
In der Romanik wurde sie erbaut, Zeugnisse der Gotik, der Renaissance
und des Barock sind noch vorhanden, aber auch die Gründerzeit ist
als eigenständiger Stil vorhanden.
Die klassische Moderne fehlt. Die sogenannten Kunstintervalle (Nierentischzeit,
Brutalismus etc.) werden kürzer und focusieren sich auf den "individuellen
Stil" des einzelnen Architekten, den eigenen und unverwechselbaren
Ausdruck seines geistigen Eigentums und dieser wird in jeden Raum verpflanzt,
der sich Ihm bietet. Ob die Samenkörner dieser baulichen Ideen
letztendlich zu dem heranreifen was man als Baukultur bezeichnet, wird
oftmals nicht nur durch die Bauherren bestimmt. Dies alles ist in dieser
Stadt möglich. Solches Bauen ist an jeder Ecke unserer Stadt sichtbar.
Es ist jedoch ein Unterschied, ob man in einer gedachten oder einer
gewachsenen Stadtstruktur plant und baut. Vor allen Dingen dann, wenn
diese Stadt ein solch bauliches, baukünstlerisch hochwertiges Erbe
besitzt wie Villingen. Die zeitlichen Intervalle der sich ablösenden
Kunstrichtungen wird immer kürzer. Die sich zur Zeit zeigende 2.
Moderne wird überlagert durch den Dekonstruktivismus. Die neue
Kunstrichtung ist wenn wir den Medien glauben der Individualismus. Gerade
auch in unserer Stadt in Villingen ist diese Richtung ebenfalls schon
ablesbar. Ob es sich um Kunst handelt, möchte ich nicht beurteilen.
Ob Villingen eine Architektur des Individualismus verträgt und
aufnehmen kann, ist für mich aber fragwürdig.
Wenn ein Architekt
den Auftrag erhält an der Akropolis eine Sanierung durchzuführen,
dann wird er mit Respekt diese Arbeit durchführen. Das gleiche
trifft zu am Kölner Dom oder am Ulmer Münster, für Notre-Dame-du-Haut
oder das Seagram Building und viele andere Gebäude an denen die
Architektengenerationen mit Ehrfurcht stehen. Mein Ziel ist es, dass
man diesen Grundriss von Villingen, so behandelt, wie es Ihm zukommt.
Als Stadtbaukunst des Mittelalter in allerhöchster Güte. Ich
hoffe, dass gerade die Architekten die seit den 60 iger Jahren von profunder
Stelle die Meinung vernahmen, dass Villingen eine gewachsene Stadt sei,
nunmehr umdenken und Villingen, dem gedachten, dem ideellen, dem geistigen
Ursprung zuordnen.
Als in den 80er-
Jahren der Stadthallenwettbewerb durchgeführt wurde, haben 60 Architekten
aus ganz Baden-Württemberg an diesem Wettbewerb teilgenommen. Ein
großer Teil wollte einen Abschluß der Niederen Straße
erreichen und hat damit wesentliche Stadtstrukturteile südlich
der Bertholdstraße der bestehenden Überbauung geopfert. Diese
Architekten einschließlich der Fachpreisrichter waren gefangen
von dem Raum und dem möglichen Abschluss der Niederen Straße.
Die Architekten,
die die gewachsene Struktur südlich der Bertholdstraße respektierten
und ihre Gebäudevorschläge nach ihr ausrichteten, waren für
das Preisgericht unspektakulär und die Lösungsvorschläge
wurden mit einem Ankauf bedacht. Gerade die Lösung dieser Gruppe,
nämlich die Respektierung und der zurückhaltende Umgang mit
alter Bausubstanz, wurde nunmehr als städtebaulicher Ansatz vom
Neuen Tonhallenarchitekten und Wettbewerbsarchitekten der Großen
Stadthalle umgesetzt.
Welches die richtige
Lösung für die Antwort eines städtebaulichen Problems
ist, zeigt sich in den verschiedenen Antworten des Preisgerichts, was
tatsächlich gebaut wurde und wer letztendlich daran mitgearbeitet
und eine Lösung mit geschichtlichem Hintergrund aufgezeigt hat.
Diese unterschiedlichen
Auffassungen über Architektur hinsichtlich dem Freiheitsgedanken
ohne einer Unterordnung eines vorhandenen Strukturgerüstes und
der Anpassung an bestehende städtebauliche hochwertige Räume
wird dafür sorgen, dass dieser Veränderungsprozess dieser
Stadt und damit dem Stadtgrundriss weitergeht. Billigbauten die einen
maximalen Profit versprechen, werden immer mehr diese Stadt verändern.
Die Mutation wird fortschreiten und jedes weitere Gebäude wird
am Bauverkrebsungsprozess beitragen, da sich nur wenige Gebäude
an den Gesetzen dieser Stadt ausrichten werden. Hierbei wird von entscheidender
Bedeutung sein, wie sich die Bebauungen im Krawazi und im Riet zeigen
werden.
Gebäude wie
das Amtsgericht haben sich wahrlich nicht hervorgetan im Hinblick auf
eine städtebauliche Rücksichtnahme. Ihre Kunstgattung war
und ist jedoch klar erkennbar. Der von ihnen gebildete Baukörper
ist bis heute ein Werk, welches qualitativ hochwertig ist, aber er hätte
hinter dem Stadtgrundriss jedoch zurückstehen müssen.
Das bauliche Schicksal
des Amtsgericht kennen wir heute noch nicht. Der Nachfolgebau des Hotel-
Blume Post ist jedem bekannt. Genau an diesem Beispiel sehen wir, wie
der Stadtgrundriss seine Ursprünglichkeit verliert. Verschiedene
Hofstätten werden zusammengefasst und überbaut. Das Nachfolgegebäude
wurde in einer Zeit erstellt, die eine Uniformität erkennen lässt,
die so nicht in das Stadtbild von Villingen passt.
Wenn wir, wie
eingangs erwähnt, nochmals den Reichstag vor Augen halten, so ist
dieses Gebäude sicherlich ein Wahrzeichen für Berlin, für
Köln ist es der Kölner Dom, für Villingen war es lange
Zeit die Blume-Post. Man könnte noch viele Wahrzeichen aufzählen.
Einen Schatz hat dieses Villingen. Dies ist der Stadtgrundriss, nachweislich
geplant und gegründet im südlichen Bereich. Wer durch diese
Stadt geht, spürt und empfindet es, manche weniger, manche mehr.
Mit Aristoteles zu sagen: Villingen war die Spur Gottes. Das Wesen und
ihre Lage wurden erkannt. Hoffen wir, dass Villingen ein wenig zur Ruhe
kommt in der schnellebigen Zeit und ihrer folgenden Kunstrichtungen.
Villingen ist
einzig, denn auf der Welt haben wir keine Stadt die ähnliche grundrissliche
Qualitätsformen auch im geschichtlichen Zusammenhang aufweist.
Ich bin überzeugt,
dass Villingen nicht nur für die Vergangenheit steht, sondern auch
mit seiner planerischen rund 1000 jährigen Stadtgestalt in die
Zukunft weist. Wer aber gerade die städtebauliche Entwicklung nicht
nur in Deutschland sieht, dem wird klar, dass Villingen diese alte und
historische Stadt Beispiel geben kann, wie unsere zukünftigen Städte
aussehen könnten, gerade im Umgang mit der Landschaft, der Verdichtung,
dem Verkehr. Die planerischen Überlegungen könnten Grundlage
für eine zukünftige Stadt oder einen Stadtteil geben.
Will man allerdings
solche planerischen Überlegungen nicht anstellen, so ergibt sich
die Frage, ob man die baulichen Entwicklungen nicht dem städtebaulichen
Wachstumsprozess überlässt, der aus sich heraus schon die
richtigen Entscheidungen hinsichtlich einer Formfindung trifft. Solche
Wachstumsprozesse findet man gerade auch in geplanten Stadtstrukturen.
Ein Beispiel hierfür ist das Amtsgericht mit den nachfolgenden
Gebäuden (ehemaliges Finanzamt, Bankgebäude, Kino etc.).
Ich möchte
nicht einer historisierenden Architektur in Villingen das Wort reden.
Das von der Denkmalpflege gezeigte Vorgehen, der Verbindung von Alt
und Neu, hat nach meiner Überzeugung dort eine Grenze, in dem der
Villinger Stadtgrundriss (Hofstättenmaß) überschritten
bzw. zusammengefasst wird. Ich bin ebenfalls davon überzeugt, dass
die Qualität und zwar eine vorstellbare sanierte Qualität
zu erhalten ist bzw. darüber hinaus zu gehen hat durch das Neue.
Qualität kann man nicht verordnen. Für Qualität ist einzig
und allein der Architekt zusammen mit seinem Bauherrn verantwortlich.
Deshalb stellt sich die Frage wie man diese beiden nachhaltig unterstützen
kann, um eine qualitätvollere Architektur in unserer Stadt zu erhalten.
Die zur Zeit praktizierte Vermietung der Ladengeschäfte wird aufgrund
der Attraktivität der Fußgängerzone weiter zunehmen
und dafür sorgen, dass im Erdgeschossbereich eine billigere Ausführung
der Materialien verwandt wird. Qualität ist aber eine Frage der
Ästhetik und der Nachhaltigkeit und nicht der Rendite. Um mehr
Qualität in diese Stadt zu installieren, wäre es zum Beispiel
denkbar, wenn Bauherr und Architekt von außen d.h. von international
tätigen Architekten unterstützt werden und durch finanzielle
Mittel. Dies gilt natürlich nur dort, wo die Eigenheiten Villingens
nicht erkannt werden. Die Beteiligung von internationalen Architekten,
die sich insbesondere in der Verbindung von Neu und Alt profiliert haben
würde dazu führen, dass man von Ihnen lernt. Dass man ihre
Gebäude in Erinnerung behält, vergleichbar mit der Blume-Post.
Erinnern wir uns
an die Struktur Villingens- gedacht und nicht gewachsen und vergegenwärtigen
wir uns, was architektonisch und städtebaulich Raum und Materie
bedeutet. Gerade der Geistige Abdruck des "Positiven" und
nicht des "Negativen" ist für uns Architekten und sicherlich
nicht nur für uns von entscheidender Bedeutung. Die Pilgerstätten
der Architektur halten uns in Bann, weil sie das Positive repräsentieren:
Akropolis, Kölner Dom, Guggenheimmuseum, Reichstag etc. etc. Auch
der Villinger christliche Kreuzraum ist so eine Pilgerstätte bzw.
könnte sie werden.
Anhand zweier Beispiele möchte ich aufzeigen was die Qualität
das Positive Villingens repräsentiert.
1.) Die Blume-Post
ist bis heute im Gespräch, Sie kann aber nur im Gespräch geblieben
sein, weil sie für Villingen etwas Positives repräsentierte.
Ob dies an den Meinungen der Bürger liegt, oder an der Qualität
des Baues muss der Leser entscheiden.
2.) In Villingen
gab es einen Liedermacher, dessen Lieder heute noch "a de Fasnet"
gesungen werden. Seine Taten sind allen Villingern bekannt. Gleichwohl
werden seine Lieder manchen von uns überdauern. Eine Textstelle
in einem Lied lautet:
"War des
früher scheen im Städtle enge Winkel enge Gässle isre
Homet. Wenn auch Zeiten kommen, gehen, die Erinnerung bleibt bestehen."
Durch die Verflachung
in der Qualität der baulichen Entwicklung in der Villinger Innenstadt
wird es immer weniger Erinnerung geben, denn die Frage stellt sich ob
nach einem möglichen Abbruch das heutige K+L Gebäude uns ebenso
lange in Erinnerung bleibt wie die Blume Post.
Bild 82 zeigt
den mir zuletzt bekannten Abbruch in der Villinger historischen Innenstadt.
Hier handelte es sich um 3 Gebäude aus dem Mittelalter. Den Zeitungsberichten
war zu entnehmen das ihre Gestehung im 13 Jahrhundert zu datieren ist.
Man wird sehen ob Ihre Ersatzgebäude zumindest eine ähnliche
Qualität besitzen.
(B 82)
Auf Grund des
Dargelegten bin ich für den formalen und qualitativen Wiederaufbau
der Villinger Kernstadt, wie er sich um das Jahr 1800 rekonstruieren
lässt.
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