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Teil 3

Eigentümlickeiten am Grundriss

Schiefwinkliges Kreuz

Die größte Eigentümlichkeit ist der fehlende zu erwartende rechte Winkel (B 51) der beiden Hauptstraßen des sich zeigenden Straßenkreuzes. Ist es denkbar, dass ein damaliger Baumeister ein schiefwinkliges Straßenkreuz plant? Wie hat sich dieses Kreuz gebildet, denn eine Wachstumsstadt gehorcht anderen geometrischen Gesetzen, wie wir jetzt wissen.

Südliches- und Nördliches System

Die Nebenstraßen folgen einerseits dem Niederen- Oberenstraßenzug und andererseits der Straßenflucht von Riet- und Bickenstraße in einem Parallelstraßensystem. Bisher bestand die Auffassung, dass durch diese verschiedenen sich bildenden Straßenbereiche ein zeitlicher Versatz begründet sei und eine Mehrphasigkeit des Villinger Grundrisses gegeben ist, der sich über einen sehr langen Zeitraum entwickelt hat. Außerdem ist die bisherige Meinung, dass das Münster- und Hafnerviertel der ältere Teil Villingens sei.

Die beiden Hauptstraßensysteme stehen in einem Winkel von 73 Grad aufeinander. Die Niederen- und Oberenstraße bildet mit der Gerberstraße und Bärengasse, der Färber- und Kronengasse, der Johannitergasse, der Schaffnei- und Thomasgasse, der Paradies- und Bogengasse, Teile der Zinsergasse und der Anker- und Kapuzinergasse ein eindeutiges orthogonales System. Dieses ist das südliche System (B 56).

(B 56)

Die Riet- und Bickenstraße bildet mit der Josefsgasse, der Kanzleigasse, der Hans-Krautgasse, der Rathausgasse, der Webergasse, und der Brunnenstraße- Schlößlegasse ein nördliches schiefwinkliges Paralellstraßensystem (B 57) zusammen mit der Rietstraße aus. Weshalb diese Richtungänderung vorgenommen wurde, ist sicher spekulativ, jedoch zeigt das südliche System klar, dass es in das nördliche System ragt mit der Oberenstraße als Verlängerung der Niederenstraße, die Bärengasse als Verlängerung der Gerberstraße und die Kronengasse als planerische Verlängerung der Färberstraße. Gerade diese Verdrehung der beiden Systeme, mit gleichzeitiger Überlagerung, zeigt, dass das Festhalten an der übergeordneten Figur, dem Kreuz bewusst gewollt war.

(B 57)

Diese Eigentümlichkeit des Villinger Grundrisses war für den in der Einleitung zitierten Meksepers Anlass für Villingen zu postulieren, diese sei in mehreren Phasen entstanden. Ein nördlicher, der ältere Stadtteil, und ein südlicher, der jüngere Stadtteil. Betrachtet man jedoch im Nördlichen Teil das Straßensystem, so stehen diese Straßen schiefwinklig aufeinander, im südlichen Teil dagegen orthogonal bzw. rechtwinklig. Die Entropie ist ein allgemein gültiges Gesetz, welches besagt, dass sich alles zur Unordnung hin entwickelt. Somit müsste der südliche Teil zuerst entstanden sein und dann der nördliche Teil. Auch haben wir gezeigt, dass Villingen keine gewachsene Stadt sein kann und alle 5 Merkmale für eine gedachte Stadtstruktur besitzt.

Schulgasse, Rietgasse, Turmgasse, Badgasse, teilweise Zinsergasse sind nicht eindeutig einem der beiden Systeme zuzuordnen.

Nun welches Merkmal bzw. welcher Teil Villingens ist typisch für eine gedachte Stadt?

Wie in den gedachten Städten, Mannheim, Milet etc.hat auch Villingen eine klare ausgeprägte orthogonale Struktur, nämlich im südlichen Bereich, in der unteren Stadt. Diese Orthogonalität ist jedoch nicht nur beschränkt auf den südlichen Bereich der Stadt, sondern sie erstreckt sich auch in den nördlichen Bereich. Vor allen Dingen die Straßensysteme Niederestraße- Oberestraße und Gerberstraße- Bärengasse zeigen nachdrücklich, dass das nördliche und südliche System miteinander verbunden ist.

Eine Mehrphasigkeit, wie ihn Mekseper und seine Nachfolger gesehen haben, ist demnach für Villingen nicht gegeben.

Dieser südliche Bereich, vor allen Dingen das heutige Krawazi und Teile des Riet, ist eindeutig als klarste geometrische orthogonale Form Villingens zu definieren, die auf einen Planungsakt, für die Gründung der Stadt aufgrund der gezeigten Bedingungen schließen lässt. Auch wurde im Krawazi der älteste Villinger Stadtfund entdeckt. Eine Faßdaube von 1136.

Wenn der nördliche Teil Villingens zuerst gebaut worden wäre, dann hätte sich Villingen nach der Linienführung der Rietstraße rechtwinklig ausgerichtet. Der nördliche Teil ist jedoch ein schiefwinkliges System. Das südliche Stadtsystem ist jedoch ein orthogonales, welche damit die höhere Ordnung besitzt. Auch aufgrund dieser Überlegung muß sich Villingen vom Süden aus entwickelt haben. Bis in die heutigen Tage hält sich die Vermutung, dass der nördliche Teil der zuerst Gebaute sei. Zu den aufgezeigten Gründen möchte ich einen anführen, der außerhalb jeglicher Geometrie steht. Immer dann wenn neue Stadtteile erwachsen, werden die Sozialschwachen in diese Quartiere verlegt bzw. einquartiert. In Villingen war es das Ifängle nach dem Krieg oder später das Steppach. Heute ist es das Schilterhäusle. Bis heute wirkt im Krawazi diese soziale Differenz gegenüber dem Münsterviertel nach. Eine soziale mindere Stellung steht deshalb eher für einen Beginn einer Stadt als umgekehrt. Schon auch aus diesem Grund wäre der Beginn von Villingen im südlichen Bereich zu suchen.


Stellung des Münster

Eine bauliche Eigentümlichkeit ist die Stellung des Münsters (B 58) zu den beiden Straßensystemen. Das jetzige Langhaus des Münster steht in einem Winkel von 84 Grad zu der Straßenflucht von Niederestraße und Oberestraße und zum Straßensystem von Riet- und Bickenstraße beträgt der Winkel 11 Grad. Schon allein diese Tatsache lässt den Schluß zu, dass das Münster bzw. sein Vorgängerbau zusammen mit dem südlichen Straßensystem erbaut wurde, da das Münster rund 5 Grad mehr zum südlichen System steht.

Position Münster

(B 58)

Bei den Ausgrabungen im Münster wurden zwei Vorgängerbauten freigelegt, worin der Ursprungsbau nochmals um 1 Grad zum südlichen Strassensystem steht und man klar sagen kann, dass das ursprüngliche Villinger Münster, welches mit das älteste Gebäude Villingens ist, mit dem südlichen System eine orthogonale Beziehung besitzt , die es erlaubt festzustellen, dass der Vorgängerbau des Münster und die südliche Bebauung zusammen erstellt wurden.

Im Bildausschnitt (B 59) ist die orthogonale Beziehung zwischen Kronengasse und Münster sehr gut zu sehen.

(B 59)


Niedere Straße- Schwedendammstraße

Eine eigentümliche Wegebeziehung (B 60) ist die Verschwenkung von Niedere Straße und Schwedendammstraße in Verbindung mit dem stark ausgeprägtem und einzigem Bogen der Goldengrubengasse, dort wo sie in die Schlößlegasse mündet. Eine solch starke Ausbildung einer Straßenkrümmung ist im Straßensystem Villingens sonst nicht erkennbar. Zwar gibt es in verschiedenen Gassen ähnliche Verformungen, jedoch nicht in dieser Intensität, wie es im nördlichen Teil der Goldgrubengasse der Fall ist und bestimmt aus anderen Gründen. Beide Teile, die Verschwenkung der Niederen Strasse in die Schwedendammstrasse und die bogenförmige Ausbildung der Goldgrubengasse in die Schlößlegasse sind für sich allein gesehen recht unbedeutend.

(B 60)

Verbinden wir jedoch die beiden Teile, so erhalten wir einen Weg, der gebildet wird durch die Schwedendammstraße und die Gold-grubengasse. Wird die bogenförmige Gasse weitergeführt, so könnte dieser Weg, eine alte, vielleicht sogar die älteste Wegebeziehung in Villingen markieren. Somit wäre der Zugang von der Schwedendammstraße in die Goldgrubengasse, nämlich die frühere Hüfingergasse wie sie um 1360 genannt wurde, der ursprüngliche Weg der das Plateau des Brigachbogens durchschnitt. Die Gerberstraße kann diese Hüfingergasse nicht gewesen sein, denn der Versatz zwischen Gerberstraße und Schwedendammstraße ist genauso groß wie zwischen Niederestraße und Goldgrubengasse. Ein solcher Versatz ist jedoch nur dann an dieser Stelle erklärbar, wenn sich diese Wegebeziehungen zeitlich entwickelt. Die alte Schwedendammstraße war und dies ist auf alten Karten zu sehen, die ursprüngliche Verbindung nach Süden zu den Orten Rietheim, Klengen, Donaueschingen und Hüfingen. Wenn nun die Stadt Villingen, sich entlang einer Markstraße hätte entwickeln sollen, wie dies die Verfechter der gewachsenen Struktur so annahmen, dann hätte die Goldgrubengasse bzw. Hüfingergasse die Hauptstraße bilden müssen und die Goldgrubengasse wäre dann ein Teil dieses legendären Zähringerkreuzes geworden und nicht das Straßensystem Niederestraße- Oberestraße und Rietstraße- Bickenstrasse.


Hausversprünge

Ebenso seltsam sind die in den Hauptstraßen sich zeigenden Hausversprünge (B 61). Der deutlichste Vorsprung ist an der Ecke Ober Straße- Hans-Krautgasse ( B 61.1) zu sehen und weist auf das verschieben zweier Richtungssysteme im Quartier hin. Weitere Vorsprünge gibt es an der Ecke Niedere Straße- Rietstraße (B 61.2). Wobei die stärkeren Ausprägungen sich an den quartierübergreifenden Versätzen wie an der Bickenstraße- Bärengasse oder Rietstraße- Färberstraße und Brunnenstraße- Färberstraße (61.3 + 61.4) zeigen. Auffallend ist dabei die Tatsache, dass in der Niedere Straße diese Versätze bis zum Haus Niederestraße 23 nicht vorkommen. Dies bedeutet, dass man auch anhand dieser Versätze ablesen kann, dass im südlichen Teil der Stadt eine orthogonale Struktur vorherrscht, denn da gibt es keine Versätze in diesen Dimensionen wie im nördlichen Teil. Der nördliche Teil der Stadt muss gegen den südlichen Teil gedreht worden sein und zwar derart, dass die Gesamtfigur, der Kreuzraum, erhalten blieb. Der gedankliche und planerische Ursprung, der Plan Villingens, ergibt sich einerseits aus dem klar orthogonalen südlichen System und dessen Hauptstraßen die in das nördliche System eingreifen. Diese Hausversprünge ergeben sich aus der Tatsache, dass das nördliche System zum südlichen System um 17 Grad gedreht ist. Diese Drehung des Systems ist im Stadtgrundriss auch anhand der Versätze nachzuweisen. Als anschaulichster Versatz ist der Blick von der Oberen Straße zum Gasthaus Löwen. Ein weiteres eindrucksvolles Beispiel ist die Kreuzung Brunnenstraße- Färberstraße.

(B 61)                                                   (B 61.1)

     

(61.2)                                     (B61.3)

(B 61.4)


Höcker und Riet

Der Höcker (B 62), der sich an der nord- westlichen Seite des Ovals zu sehen ist, ist ebenfalls eine bauliche Merkwürdigkeit. Die Frage stellt sich warum ist dieser Höcker vorhanden. Sicherlich wurde er nicht geplant, genausowenig wie die asymmetrische Grundrissaufteilung der Stadt. Die Weststadt ist fast doppelt so groß wie die Oststadt. In der Zeit, als Villingen geplant wurde, was sich nachweislich aus dem orthogonalen System des Krawazi ergibt, herrscht "Ordnung" insbesondere in der Symmetrie. Eine geplante Asymmetrie für eine Stadt um das Jahr 1000, wie es der "Campus Initialis" für Villingen vorgibt, halte ich für unmöglich.

(B 62)

Betrachten wir deshalb das Bild 62 mit besonderer Aufmerksamkeit, so stellen wir fest, dass die Schulgasse (Strasse im nördlichen Teil) senkrecht zur Rietstraße steht. Kronengasse, Obere Straße und Bärengasse stehen jedoch schiefwinklig zur Rietstraße. Dies kann bedeuten, dass diese Straße später, d.h. ohne Planung, als Ergänzung des Planes erbaut wurde. Der Plan wurde erweitert oder ergänzt. Betrachtet man gleichzeitig die Straßenführung von Rietgasse, Zinsergasse, Badgasse und Turmgasse, so stellen wir fest, dass die Linienführung dieser Strassen stark geschwungen bzw. geknickt sind.

Zusammen mit der Ausbildung des Höcker, der sich ergibt, um die sich am Riettor befindende Motte in die Stadtanlage mit einzubeziehen, wäre es denkbar, dass ein Teil der westlichen Stadt gar nicht zur ersten Planungsgrundlage gehörte. Wenn wir die Fläche die westlich der Linienführung Färberstraße- Kronengasse liegt, gedanklich nicht zum Stadtgrundriss zählen, so ergäbe sich ein vollkommen symmetrischer Grundriss, wenn wir ein orthogonales System voraussetzen.

Versucht man die östliche äußere Form auf die westliche Seite spiegelbildlich zu übertragen, so ergibt sich ein vollkommener städtebaulicher Grundriss (B 63). Solche Annahmen, dass ein vollkommener Plan aus welchen Gründen auch immer Änderungen unterworfen ist, ist auch in unserer Zeit denkbar bzw. Realität.

Querrippensystem

(B 63)

Wenn man nun diese 6 ausgeprägtesten grundrisslichen Eigentümlichkeiten zusammenfasst, so ist sicherlich der naheliegenste Unterschied des Stadtgrundrisses, dass es zwei verschiedene Ordnungssysteme in diesem Stadtgrundriss gibt, wobei das südliche System die höhere Ordnung besitzt, denn eine gerade Wand besitzt eine höhere Ordnung wie eine mit Versätzen. Dies deckt sich mit den Hausversprüngen, die überwiegend nur im nördlichen System vorkommen. Das Bindeglied zwischen den beiden Stadtstrukturen sind einerseits die Nord- Südstraßen und die Stellung des Münsters. Die ursprünglichste Wegebeziehung ist wahrscheinlich die Schwedendammstraße mit der Goldgrubengasse. Nur von dort hätte sich die Marktstraße in einer gewachsenen Stadt entwickeln können. Die spiegelbildliche Deckung der 4 Stadtviertel führt zu einem Stadtgrundriss der Vorbild für die erdachten und geplanten Stadtgründungen in dieser Zeit war, denn er vereinigt das Paralellstraßensystem mit dem Kreuzraum.

Aus den vorgenannten Überlegungen ist folgendes abzuleiten. Die Stadt wird von Süden bebaut. Die 5 Nord- Südlichen Straßenzüge bilden das erste Bebauungsgerüst. Heute noch erkennbar an der Bebauungsstellung der Gebäude. Die Quergassen werden ebenfalls im gleichen Zeitabschnitt bis zur Schlößlegasse fertiggestellt, so daß sich im südlichen Bereich eine orthogonale Struktur bildet. Zeitgleich mit den Straßenfestlegungen und den ersten Bauten wird mit dem Münsterbau angefangen. Bei der Festlegung der Richtung der Rietstraße muß das Münster schon in seiner Fundamentierung festgelegt worden sein. Ab dem Querrippensystem Schlößlegasse- Brunnenstraße wird die Stadt im Bereich der 5 Nord- Südlichen Straßenzüge durch die im nördlichen System vorherrschende Richtung weiter bebaut. Weshalb es zu dieser Änderung des Richtungssystemes kam, wird im Dunkeln bleiben. Westlich der Zinsergasse wird die ursprüngliche Stadt ergänzt. Die Änderung vom vollkommenen Grundriss zum heute bekannten ist an Diesem selbst ablesbar. Die Niederestraße ist keine gewachsene Marktstraße, sondern Teil eines Straßenkreuzes welches auf einem geistigen planerischen Akt gründet. Der Straßenzug Niederestraße- Oberestraße ist auch wegen seiner Länge, höherrangig gegenüber dem Straßenzug Rietstraße- Bickenstraße. Über den Kreuzraum läßt sich in vielfacher Hinsicht auch in dieser Zeit nachdenken und philosophieren.


Zwischen Mensch (en) und Werk ist Harmonie: dies ist die Hauptsache

Le Corbusier


Recht auf Veränderung?

Die Stadt Villingen ist bis um das Jahr 1800 eine vollkommen intakte Stadt des Mittelalter. Alle baulichen Elemente, die sie kennzeichnen sind noch vorhanden: Das zweifache Mauersystem, die Stadtbäche, die 4 Tore, die vorgelagerten Erker etc. der abgeschlossene Straßenraum. Zur Verdeutlichung dient die Beschreibung des Martin Blessing von 1806, die als Untertitel auf seinem Plan steht.

"Villingen liegt im Schwarzwald in einem angenehmen und ebenen Thal am Flüßgen Brieg, hat doppelte Mauern und Gräben, kan ungehindert umgangen werden von außen und dem Rampun. Die Gaform sind regulair aber nicht ganz mathematisch, die Häuser sind zu 3 dar 4 Stockwerk. Es hat in der inneren Länge 764 in seiner Breite 525 und in dem Umfange 2582 große Maasschritte, 673 Hofstätten, 609 Familien, 590 gezeichnete Käufer, 5 Klöster, eine Comendur und mehrere öffentliche Gebäude, ist 104 Schritt länger und 45 breiter als Rottweil. Kan in ½ Stunde umgangen werden."

Wenn man in den heimatlichen Geschichtsbücher nachliest, dann werden die Eingriffe an den Baulichkeiten der Stadt in Verbindung gebracht mit den Entwicklungen der damaligen Zeit.

Die Revolution soll einen freiheitlichen Gedanken in den Bürgern ausgelöst haben.

In den damaligen Zeitungsausgaben kann man jedoch auch nachlesen, dass auf ihren Vorteil bedachte Bürger verantwortlich für den Abbruch der Mauern waren, denn sie erkannten darin einen billigen Steinbruch. Der innere Mauerabbruch begann an der Südfront, wo der Glockengießer Grüninger beim Glockenhäusle die Mauer auf eigene Faust abtrug. Die Mauerreste werden bis zum Jahre 1900 auf die heutige Situation zurückgebaut.

Die Abbruchphase begann 1813 mit dem Bügeleisen und endete 1868 mit dem Erker des Bickentores. Der bedeutende Eingriff in die Stadtanlage durch den Abbruch des Niederen Tores bedarf einer vertieften Betrachtung der Umstände die zu diesem Abbruch geführt haben. Gleichzeitig wird anhand der baulichen Entwicklung des Niederen Torbereiches die gedanklichen Einflüsse dieser sich bildenden Objekte dargestellt im baulichen Wachstumsprozess.

Am 17 Februar 1845 findet in der badischen Kammer eine Beratung über den Standort von 15 Strafgerichtshöfen statt. Die Städte Hüfingen und Donaueschingen haben sich für diese neue Institution beworben. Eine großherzogliche Kommission besucht die Stadt Villingen und prüft deren Geeignetheit. Die Kommission versammelt sich im Gasthaus Sonne mit den Gemeinderatsmitgliedern und etwa dreißig Bürgern. Ein Redner sprach: " Sie gehen einer freudigen Zukunft entgegen. Eine Anstalt wird bei Ihnen gegründet, die segensreiche Früchte tragen wird......." Diese segensreiche Frucht war verbunden mit dem Abbruch des Niederen Tor und der inneren Mauer zwischen Zinsergasse und Gerberstraße.

Im Jahre 1846 werden 2 höchstgewichtige Gegenstände in der Stadt diskutiert, nämlich der Bau der Eisenbahn und der Bau des Bezirksstrafgerichts. Ebenso wird im Jahre 1846 entschieden, dass das Bezirksstrafgericht an der südlichen Seite der Niederenstraße gebaut werden soll.

Im Frühjahr 1847 wird mit dem Abbruch des Niederen Tores begonnen. Die Grundsteinlegung für das neue Bezirksstrafgericht, heutiges Amtsgericht (B 64 + 64.1 ), findet am 25 Juli 1847 statt.

      Amtsgericht

(B 64)                                                    (B 64.1)

Es entsteht ein zur Stadt überdimensioniertes Gebäude im klassizistisch historisierenden Stil, welches ein baulichen Anspruch verkörpert, der bisher nur den Kirchen- und Klostergebäuden an den 4 Enden der Stadt zugestanden wurde. Das Gebäude nimmt die Flucht der westlichen Niederestrasse auf. Die Grundriss- , aber auch Gebäudegröße wird negatives Vorbild für Gebäude, die zukünftig in der Villinger Innenstadt entstehen werden bzw. entstanden sind.

Die Niedere- Tor- Problematik und die Bebauung südlich der Bertholdstraße, habe ich in meiner Schrift die "Chance des Niederen Tor" ausführlich dargestellt, weshalb ich hier nicht näher darauf eingehen möchte.

 

Das Gesundheitsamt (B 65, 65.1+ 65.2), ehemaliges Finanzamt, im Gründerzeitstil gebaut, situiert sich auf dem freien kleinen Platz zwischen Niedere Straße und Goldgrubengasse. Die Stellung des Gebäudes zeigt, daß der Architekt, die in seiner Kunstepoche vorherrschende Auffassung klar baulich umsetzt. Das Gebäude rückt ohne zwingenden Grund aus der Flucht der Niederenstraße und zeigt die Schaufassade unmissverständlich nach Süden, was noch heute ablesbar ist, wenn man das Gebäude aus der Schwedendammstraße betrachtet. Inwiefern eine zeitlich begrenzte Kunstauffassung ein Abrücken aus der Bauflucht der Niederen Straße, einer über damals 900 Jahre erhaltenen Bausubstanz, rechtfertigt,ist offen. Das Gebäude ist im Jugendstil/Gründerzeitstil gebaut, der als letzter Baustil, im Stadtoval mehrfach zu sehen ist bzw. war.

Altes Gesundheitsamt     

(B 65)                                                     (B 65.1)

(B 65.2)

Wichtig ist zu sehen, dass das Amtsgericht die Flucht der Niederenstrasse aufnahm. Das Gesundheitsamt nimmt keine Bezüge zum Stadtgrundriss auf, sondern orientiert sich mit seiner Fassade am südlichen Zugang der Stadt, der Schwedendammstraße. Bedeutend bei der Betrachtung dieser beiden Gebäude ist wie gesagt, ihr Umgang mit der vorgefundenen Situation des Stadtgrundrisses. Beide repräsentieren verschiedene Stilrichtungen, Neo-Klassizismus und Jugendstil/Gründerzeitstil. Hierbei manifestiert sich einerseits zumindest die Rücksichtnahme auf eine vorhandene Straßenflucht, wie beim Amtsgericht, und andererseits das sich über eine vorhandene Struktur hinwegsetzende planerische und bauliche Auffassung wie beim Gesundheitsamt. Dies geschah im Zeitgeist der beiden Stilepochen. Diese Problematik werden wir in den nachfolgenden Betrachtungen, aber anderen Kunstauffassungen, ebenfalls sehen können.
In den 90- Jahren erhält das ehemalige Gesundheitsamt einen Anbau und wird als Bankgebäude ausgebaut. Von Bedeutung ist der Anbau der in die Niedere Strasse ragt. Das damit verbundene Tor kann jedoch nicht gebaut werden, so dass dieser Anbau als Teillösung des Gedachten angesehen werden muss. Der tatsächliche Standort des Niederen Tor ist im Straßenpflaster abzulesen, wo es nach meiner Auffassung auch wieder errichtet werden sollte und nur an dieser Stelle.

Die Verbindungshäuser (B 66) entlang der ehemaligen neuen Wallstraße, zwischen Niedere Straße und Färberstraße werden gebaut und richten sich streng nach dem orthogonalen Stadtsystem aus.

Verbindungshäuser

(B 66)

Die rechtwinklige Weiterentwicklung aus den bestehenden Quartieren des südlichen Systems ist klar erkennbar. Die frühere äußere gekrümmte Form des Stadtoval wird aufgegeben.

Die Höhenentwicklung der Baulichkeiten in der Gerberstrasse 53, 55, 57 und 59 (B 67, 67.1+ 67.2) zeigen, dass sie sich dem angrenzenden Bankgebäude anpassen und deren Höhe übernehmen. Welche Höhe die ehemalige zur heutigen Bebauung der Gerberstrasse besaß, zeigt das Haus Gerberstraße 61 (B 67.1). Auch die größere Grundstücksausnutzung ist erkennbar, speziell im rückwärtigen Bereich.

    

(B 67)                                     (B 67.1)

Das Bankgebäude in der Gerberstrasse wird erweitert über die Paradiesgasse (B 68, 68.1, 68.2 + 68.3) hinweg. Als Ersatz für das Cafe- Wehrle etabliert sich ein 4- geschossiger Baukörper in der Paradiesgasse 4. Die Arkadenausbildung und die bankinterne Brücke sind fremde Bauelemente in Villingen. Diese Bauformen gab es in dieser Stadt nicht. Die historische Aufnahme zeigt, dass aus einer ehemaligen schmalen Gasse eine breite Gasse mit angrenzender Bebauung wurde, an deren Stelle früher eine Mauer stand. 

    

(B 68)                                      (B 68.1)

     

(B 68.2)                                     (B 68.3)

Der Innenhof der Johanniterkirche (B 69) wird mit einem viertelkreisförmigen Anbau überbaut. Der Vergleich mit Karlsruhe liegt nahe, wo ein radiales System mit einem orthogonalen Baukörper bebaut wurde, so wird in Villingen in diesem Innenhof ein orthogonales System mit einem kreisförmigen Baukörper überbaut.

(B 69)

In der Hafnergasse (B 7 + B 7.1) wird der Straßenraum durch einen überdimensionierten Aluminium-Glas- Wohnerker eingeengt. Die Größe dieses Erkers wäre, wenn überhaupt in den 4 Hauptstrassen abzuleiten. Wie man in der heutigen Zeit das Gebäudeelement eines ehemaligen Heuaufzuges benutzt, um formal eine grössere Wohnfläche zu erhalten, zeigt diese Aufnahme, denn das historische und das formal abgewandelte Gebäudeteil ist klar auf dem Bild zu erkennen.

Wie durch das Bankgebäude in der Gerberstraße und dem ehemaligen Hotel Blume-Post an der Ecke Bicken- Niedere Straße, findet der gleiche Wachstumsprozessprozess an der Rietstraße 5 und der Färberstraße 3-9 (B 70+70.1+70.2) statt.

     

(B 70)                                               (B 70.1)

Mehrere kleine Hofstätten (Grundstücke), eines der Grundelemente des Villinger Stadtgrundriss, werden zusammengefasst, um möglichst viel Handels- und Grundfläche zu erhalten. In der Färberstraße ergibt sich eine Wandhöhe die die bisherige Bebauung um über ein Geschoss überragt. Die Stockwerkshöhen sind in der Stadt Villingen in dieser Höhe nicht abzulesen und sorgen mit den überdimensionierten Fensterabmessungen und der überdimensionierten Eingangssituation in der monumentalen Flächengeraden unbegrenzt erscheinenden Wand für einen Anspruch die diesem Gebäude in diesem Quartier von Villingen nicht zusteht. Gleichzeitig zeigt diese Wand eine Entwicklung im Innern Villingens auf, wie dies in der äußeren baulichen Entwicklung der letzten rund 30 Jahre ablesbar ist. Die in unmittelbarer Nachbarschaft zur historischen Alt-stadt sich entwickelten Großprojekte wie Volksbank, Marktkauf und Morrission- Nachfolger zeigen die Entwicklungsmöglichkeit, wie sie Villingen auch im Innern nehmen kann bzw.-wird. Diese überdimensionierte, glatte, im Verhältniss zur typischen Villinger Bebauung überproportionierte, farbkaschierende Wand in der Färberstraße, ist hoffentlich die Scheidewand hinsichtlich der städtebaulichen Entwicklung, die das historische Villingen zukünftig nehmen wird.

Die Vergleichsmöglichmöglichkeit in der Gerberstrasse (B 71 + B71.1) zwischen historischer Aufnahme und heutiger Realität zeigt, dass das Ersatzgebäude um ein Geschoss höher gebaut wurde. Desweiteren sind Pfeiler zur Straße vorhanden, die die Wandstruktur der Gerberstraße durchbrechen. Das Erdgeschoss ist offen, was ebenfalls ein Bruch hinsichtlich der geschlossenen Wände in dieser Strasse bedeuten.

     

(B 71)                                     (B 71.1)

Über die Ausformung der beiden Gebäudekuben (B72+72.1) ist der Leser aufgefordert selbst zu entscheiden. Die Ausbildung des Aluminiumerkers ist jedoch ein störendes Element im Raum der Färberstraße.

     

(B 72)                                             (B 72.1)

Die Ablösung verschiedener Architekturauffassungen (B73+73.1). Das Betonskelett mit dazwischenliegenden Fensterelementen löst das Mauerwerk mit ornamentalen Fensteröffnungen in den 3 oberen Geschossen ab. Ist im historischen Gebäude das Sockelgeschoss auch baulich gestaltet, wird im Nachfolgegebäude das Erdgeschoss total verglast.

     

(B 73)                                                       (B 73.1)

Das fehlende Ornament wie durch Loos in der vergangenen Jahrhundertwende propagiert, ist deutlich im Nachfolgegebäude (B74+74.1) zu sehen. Auffällig ist, dass die Wandflucht im Erdgeschoss fehlt und durch eine Eingangssituation ersetzt wurde. Entspricht eine solche Eingangssituation einem historischen Stadtensemble?

     

(B 74)                                                (B 74.1)

In diesen beiden Vergleichsbildern (B75+75.1) sieht man sehr deutlich wie gerade im Erdgeschoß eine Veränderung stattfand, die wesentlich durch wirtschaftliche Überlegungen geprägt sind. Anstatt des durch Fenster geprägten Bereiches werden nun Schaufenster gebaut. Die Einheit der Fassade wird zusätzlich durch ein Vordach geteilt. Die beiden Erker sind verschwunden.

     

(B 75)                                                    (B 75.1)

Die 4 Bilder (B76-76.3) zeigen die Ecksituation an der Bärengasse zur Hans-Krautgasse und zwar vor und nach der Sanierung. Es ist klar auf den historischen Bildern zu erkennen, dass ein erheblicher Reperaturanstau vorlag. Betrachten wir jedoch nur die Gebäudekuben und deren Formen und vergleichen sie mit der neuen Bausubstanz so ist klar zu erkennen, dass die Vielfalt in der Einheit einer Gleichförmigkeit mit einer fragwürdigen Einheit eingetauscht wurde.

     

(B 76)                                                    (B 76.1)

     

(B 76.2)                                   (B 76.3) 

Der Anblick dieses Gebäudes (B 77) steht stellvertretend für zahlreiche, wahrscheinlich sogar die Mehrzahl der Gebäude in den vier Hauptstraßen, denn dieses Gebäude scheint zu schweben. Die Spitzgiebel, die Pilaster mit ihren Kapitellen gliedern das Gebäude bis zum 1. Obergeschoss. Die Erdgeschosszone ist verglast und wirkt als Bruch, als leeren Raum. Das Gebäude hängt in der Luft. Sicherlich kann ein Statiker viel erreichen. Die Frage ist nur, wie korrespondiert die Erdgeschosszone mit dem darüberliegenden Gebäude bzw. wie mit dem Raum der Niederenstraße.

(B 77)

Dieses Gebäude (B78) zeigt drei Epochen der baulichen Entwicklung. Eine serielle Gaubenausbildung der Neuzeit. Die historische klare Gliederung in den beiden Obergeschossen und die abgesetzte Verglasung in der Erdgeschosszone, dem Verkaufsbereich.

(B 78)

Stilfindung auch in der Villinger Nordstadt (B79+79.1). Das modernistisch geprägte Feuerwehrhaus und der übergroße Wohnblock der postmodernistisch angehaucht ist.

     

(B 79)                                                       (B 79.1) 

Drei Gebäude (B80-80.2), die meines Erachtens mit der notwendigen Rücksichtnahme zum historischen Stadtbild saniert wurden. Die Erdgeschossausbildung verschiedener Bauepochen nehmen die historische Gliederung des darüberliegenden Geschosses auf.

          

(B 80)                                     (B 80.1)                                  (B 80.2) 

Wie auch in der heutigen Zeit haben auch vor rund 100 Jahren Architekten, dem Architekturbestand Villingens einen Stil hinzugefügt. Allerdings war dies damals ein einheitlicher Stil, nämlich die Gründerzeit (B 80) und vor allen Dingen wurde die Hausfassade in ihrer Ausformung, d.h. Größe der Fenster und Türen respektiert.

Die Fensterausbildung im Erdgeschossbereich (B80.1) ist gewagt, jedoch wird die Teilung der darüberliegenden Gliederung übernommen. Die Spannung zwischen Alt und Neu ist durch die Materialwahl an einer noch festzulegenden Grenze. Der nach historischem Vorbild proportionierte Heuaufzug der nun als Ausblick und Lichteinlass dient und die neu formal ausgebildete Dachgaupe zeigen ein insgesamt durchdachtes Gebäude, welches den Spannungsbogen zwischen Alt und Neu sucht.

Ein saniertes Gebäude (B80.2) zeigt die prächtige Fassade einer vergangenen Bauepoche in der Villinger Gerberstraße. Beim Ersatz von Alt zu Neu muss gelten, dass das Neue qualitätvoller als das Alte wird.

Die Aufnahme des Bildes 81 zeigt einen Blick von der Niederen Strasse in Richtung Süden und stellt vielleicht am deutlichsten dar, worum es mir in dieser Arbeit geht. Das im Jahr 1848 erbaute Amtsgericht steht für den Abbruch des Niederen Tores und gleichzeitig für eine Erweiterung der Stadt nach Süden. Eine Verzahnung zwischen Altstadt und Südstadt ist jedoch nie gelungen. In den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts werden zwei Gebäude errichtet. Das Zwickelgebäude der ansässigen Bank soll dem zu neu errichtenden Niederen Tor als Anbaugebäude dienen. Das über der Bertholdstrasse liegende Kinogebäude ist als Raumabschluss für die Niederen Strasse gedacht.

(B 81)

Diese bauliche Entwicklung ist städtebaulich gewachsen und dies in einer der bedeutendsten geplanten Stadtanlagen in Baden-Württemberg.

Es gäbe sicherlich noch zahlreiche Veränderungen in dieser Stadt, die man erwähnen könnte, wie z. B. ein über die Stadtmauer ragender Glasanbau, Abbrüche im Riet etc. etc. Der Leser möge selbst urteilen und sich am besten vor Ort ein Bild machen, ob diese Veränderungen des Stadtgrundrisses und damit des Stadtbildes zurecht geschahen. Zum Schluss der Merkmürdigkeiten in Violinen vielleicht das zeitgeschichtlich Nächste. Die Villinger Niedere Straße erhält ein Bächle und schwingt sich durch die Niedere Straße. Warum ist dieses Bächle gekrümmt? Warum macht es mehrere Schwünge? Welcher planerische Ansatz liegt diesen Krümmungen zugrunde? War es die Idee eines sich krümmenden Wiesenbaches. Oder wollte man die Theorie umsetzen, dass die Straßen Villingens gekrümmt geplant wurden? Dieses Bächle hätte man nur nach der Richtung, des südlichen System bauen dürfen, nämlich gerade bzw. orthogonal.

Ein Straßenraum hat nach meiner Auffassung zwar geschehene, im Ganzen aber nicht zu erkennende Veränderungen angenommen. Nach meiner Meinung hat dieser Straßenzug den Charakter, wie weitere Straßenzüge in Villingen aussehen könnten. Die Brunnenstraße (B 6 + B 6.1) wirkt als Einheit. Hier sind die Teile nicht individualistisch und überzeichnet ausgeformt, sondern sie sind mit dem Ganzen in Harmonie, wobei das einzelne Haus , das einzelne Bauteil jedoch klar ablesbar ist und bleibt. Dieser Strassenzug hat Vorbildcharakter und ist für mich der Schönste und Passendste für Villingen, weil er eine Einheit bildet. So könnte Villingen anhand dieses Beispiels der Brunnenstrasse zu einer Gesamteinheit werden.


Nun gut, habe Parmenides gesagt. Wenn Eines ist, so kann es doch nicht Vieles sein? Wie sollte es auch! Also darf es auch keinen Teil von Ihm geben und es selbst darf auch nicht ganz sein. Wieso? Der Teil ist doch Teil eines Ganzen. Ja. Und wie steht es mit dem Ganzen? Ist nicht das, dem kein Teil fehlt, ganz? Allerdings. Beidemal also bestünde das Eine aus Teilen, wenn es ganz ist und wenn es Teile hat. Notwendigerweise. Und Beidemale wäre auf diese Weise das Eine Vieles und nicht das Eine. Das stimmt. Es soll aber nicht Vieles, sondern das Eine sein. Ja das soll es. Also wird es weder ganz sein noch Teile haben, wenn das Eine das Eine sein soll. Sicher nicht.

Parmenides


Zusammenfassung

Es wurde deutlich, dass es sich bei Villingen um eine gedachte Stadtstruktur handelt. Dies wurde eindrücklich auch nach mathematisch- geometrischen Methoden nachgewiesen. Eine gewachsene Struktur kann Villingen, wie gezeigt, nicht sein, sonst hätte sie einen
3- Wegeknoten als Kreuzung. Villingen ist damit eine einmalige Stadtanlage, denn nur Villingen besitzt alle Randbedingungen die für eine Neugründung in der Nähe einer "Alt- Stadt" sprechen. Die Stadt ist Stadtbaukunst des Mittelalter. Die orthogonale südliche Ausbildung des Parallelstraßensystems ist eindeutig auf einen Plan, auf einen Gründungsakt zurückzuführen. Damit kann die kreuzräumliche Ausbildung der Hauptstraßen wahrscheinlich nur einem gedanklichen christlichen Gut zugewiesen werden, welches im Jahr 1000 vorherrschte. War dieser legendäre Bezelin der geistige Vater dieser Stadt? Ist dieser Stadtgrundriss, dieser Kreuzraum, die Vision des Bezelin oder seines Baumeister?

Ist es weiterhin denkbar, dass Bezelin diese Stadt für seinen Kaiser gebaut und ihm gewidmet hat. Dieses Kreuz, dieser Kreuzraum, derselben räumlichen Ausformung wie im Kreuzungsrelief von Münchenwiler als Negativform ist erdacht, wie wir aufgrund der verschiedenen Geometrien bewiesen haben und auf das südliche orthogonale System zurückführen konnten. Dieser Raum wird von den Menschen begangen, erlebt und hat seine eigene Faszination, die auch heute noch nachwirkt.

Die wissenschaftliche Methode der Dendrochronologie wird noch angezweifelt. Bis eine absolut exakte Datierung entsteht, wird es nicht möglich sein die Gründung dieser Stadtanlage genau festzustellen. Wenn wir diese genaue Datierung jedoch "wissen" wollen, dann geht der Abbruch und das unkontrollierte Bauwachstum weiter, denn manche wollen wissen und zerstören dabei diese Stadt.

Diese Stadt hat einige Kunstepochen überstanden, aber auch von Ihnen profitiert. In der Romanik wurde sie erbaut, Zeugnisse der Gotik, der Renaissance und des Barock sind noch vorhanden, aber auch die Gründerzeit ist als eigenständiger Stil vorhanden.
Die klassische Moderne fehlt. Die sogenannten Kunstintervalle (Nierentischzeit, Brutalismus etc.) werden kürzer und focusieren sich auf den "individuellen Stil" des einzelnen Architekten, den eigenen und unverwechselbaren Ausdruck seines geistigen Eigentums und dieser wird in jeden Raum verpflanzt, der sich Ihm bietet. Ob die Samenkörner dieser baulichen Ideen letztendlich zu dem heranreifen was man als Baukultur bezeichnet, wird oftmals nicht nur durch die Bauherren bestimmt. Dies alles ist in dieser Stadt möglich. Solches Bauen ist an jeder Ecke unserer Stadt sichtbar. Es ist jedoch ein Unterschied, ob man in einer gedachten oder einer gewachsenen Stadtstruktur plant und baut. Vor allen Dingen dann, wenn diese Stadt ein solch bauliches, baukünstlerisch hochwertiges Erbe besitzt wie Villingen. Die zeitlichen Intervalle der sich ablösenden Kunstrichtungen wird immer kürzer. Die sich zur Zeit zeigende 2. Moderne wird überlagert durch den Dekonstruktivismus. Die neue Kunstrichtung ist wenn wir den Medien glauben der Individualismus. Gerade auch in unserer Stadt in Villingen ist diese Richtung ebenfalls schon ablesbar. Ob es sich um Kunst handelt, möchte ich nicht beurteilen. Ob Villingen eine Architektur des Individualismus verträgt und aufnehmen kann, ist für mich aber fragwürdig.

Wenn ein Architekt den Auftrag erhält an der Akropolis eine Sanierung durchzuführen, dann wird er mit Respekt diese Arbeit durchführen. Das gleiche trifft zu am Kölner Dom oder am Ulmer Münster, für Notre-Dame-du-Haut oder das Seagram Building und viele andere Gebäude an denen die Architektengenerationen mit Ehrfurcht stehen. Mein Ziel ist es, dass man diesen Grundriss von Villingen, so behandelt, wie es Ihm zukommt. Als Stadtbaukunst des Mittelalter in allerhöchster Güte. Ich hoffe, dass gerade die Architekten die seit den 60 iger Jahren von profunder Stelle die Meinung vernahmen, dass Villingen eine gewachsene Stadt sei, nunmehr umdenken und Villingen, dem gedachten, dem ideellen, dem geistigen Ursprung zuordnen.

Als in den 80er- Jahren der Stadthallenwettbewerb durchgeführt wurde, haben 60 Architekten aus ganz Baden-Württemberg an diesem Wettbewerb teilgenommen. Ein großer Teil wollte einen Abschluß der Niederen Straße erreichen und hat damit wesentliche Stadtstrukturteile südlich der Bertholdstraße der bestehenden Überbauung geopfert. Diese Architekten einschließlich der Fachpreisrichter waren gefangen von dem Raum und dem möglichen Abschluss der Niederen Straße.

Die Architekten, die die gewachsene Struktur südlich der Bertholdstraße respektierten und ihre Gebäudevorschläge nach ihr ausrichteten, waren für das Preisgericht unspektakulär und die Lösungsvorschläge wurden mit einem Ankauf bedacht. Gerade die Lösung dieser Gruppe, nämlich die Respektierung und der zurückhaltende Umgang mit alter Bausubstanz, wurde nunmehr als städtebaulicher Ansatz vom Neuen Tonhallenarchitekten und Wettbewerbsarchitekten der Großen Stadthalle umgesetzt.

Welches die richtige Lösung für die Antwort eines städtebaulichen Problems ist, zeigt sich in den verschiedenen Antworten des Preisgerichts, was tatsächlich gebaut wurde und wer letztendlich daran mitgearbeitet und eine Lösung mit geschichtlichem Hintergrund aufgezeigt hat.

Diese unterschiedlichen Auffassungen über Architektur hinsichtlich dem Freiheitsgedanken ohne einer Unterordnung eines vorhandenen Strukturgerüstes und der Anpassung an bestehende städtebauliche hochwertige Räume wird dafür sorgen, dass dieser Veränderungsprozess dieser Stadt und damit dem Stadtgrundriss weitergeht. Billigbauten die einen maximalen Profit versprechen, werden immer mehr diese Stadt verändern. Die Mutation wird fortschreiten und jedes weitere Gebäude wird am Bauverkrebsungsprozess beitragen, da sich nur wenige Gebäude an den Gesetzen dieser Stadt ausrichten werden. Hierbei wird von entscheidender Bedeutung sein, wie sich die Bebauungen im Krawazi und im Riet zeigen werden.

Gebäude wie das Amtsgericht haben sich wahrlich nicht hervorgetan im Hinblick auf eine städtebauliche Rücksichtnahme. Ihre Kunstgattung war und ist jedoch klar erkennbar. Der von ihnen gebildete Baukörper ist bis heute ein Werk, welches qualitativ hochwertig ist, aber er hätte hinter dem Stadtgrundriss jedoch zurückstehen müssen.

Das bauliche Schicksal des Amtsgericht kennen wir heute noch nicht. Der Nachfolgebau des Hotel- Blume Post ist jedem bekannt. Genau an diesem Beispiel sehen wir, wie der Stadtgrundriss seine Ursprünglichkeit verliert. Verschiedene Hofstätten werden zusammengefasst und überbaut. Das Nachfolgegebäude wurde in einer Zeit erstellt, die eine Uniformität erkennen lässt, die so nicht in das Stadtbild von Villingen passt.

Wenn wir, wie eingangs erwähnt, nochmals den Reichstag vor Augen halten, so ist dieses Gebäude sicherlich ein Wahrzeichen für Berlin, für Köln ist es der Kölner Dom, für Villingen war es lange Zeit die Blume-Post. Man könnte noch viele Wahrzeichen aufzählen. Einen Schatz hat dieses Villingen. Dies ist der Stadtgrundriss, nachweislich geplant und gegründet im südlichen Bereich. Wer durch diese Stadt geht, spürt und empfindet es, manche weniger, manche mehr. Mit Aristoteles zu sagen: Villingen war die Spur Gottes. Das Wesen und ihre Lage wurden erkannt. Hoffen wir, dass Villingen ein wenig zur Ruhe kommt in der schnellebigen Zeit und ihrer folgenden Kunstrichtungen.

Villingen ist einzig, denn auf der Welt haben wir keine Stadt die ähnliche grundrissliche Qualitätsformen auch im geschichtlichen Zusammenhang aufweist.

Ich bin überzeugt, dass Villingen nicht nur für die Vergangenheit steht, sondern auch mit seiner planerischen rund 1000 jährigen Stadtgestalt in die Zukunft weist. Wer aber gerade die städtebauliche Entwicklung nicht nur in Deutschland sieht, dem wird klar, dass Villingen diese alte und historische Stadt Beispiel geben kann, wie unsere zukünftigen Städte aussehen könnten, gerade im Umgang mit der Landschaft, der Verdichtung, dem Verkehr. Die planerischen Überlegungen könnten Grundlage für eine zukünftige Stadt oder einen Stadtteil geben.

Will man allerdings solche planerischen Überlegungen nicht anstellen, so ergibt sich die Frage, ob man die baulichen Entwicklungen nicht dem städtebaulichen Wachstumsprozess überlässt, der aus sich heraus schon die richtigen Entscheidungen hinsichtlich einer Formfindung trifft. Solche Wachstumsprozesse findet man gerade auch in geplanten Stadtstrukturen. Ein Beispiel hierfür ist das Amtsgericht mit den nachfolgenden Gebäuden (ehemaliges Finanzamt, Bankgebäude, Kino etc.).

Ich möchte nicht einer historisierenden Architektur in Villingen das Wort reden. Das von der Denkmalpflege gezeigte Vorgehen, der Verbindung von Alt und Neu, hat nach meiner Überzeugung dort eine Grenze, in dem der Villinger Stadtgrundriss (Hofstättenmaß) überschritten bzw. zusammengefasst wird. Ich bin ebenfalls davon überzeugt, dass die Qualität und zwar eine vorstellbare sanierte Qualität zu erhalten ist bzw. darüber hinaus zu gehen hat durch das Neue. Qualität kann man nicht verordnen. Für Qualität ist einzig und allein der Architekt zusammen mit seinem Bauherrn verantwortlich. Deshalb stellt sich die Frage wie man diese beiden nachhaltig unterstützen kann, um eine qualitätvollere Architektur in unserer Stadt zu erhalten. Die zur Zeit praktizierte Vermietung der Ladengeschäfte wird aufgrund der Attraktivität der Fußgängerzone weiter zunehmen und dafür sorgen, dass im Erdgeschossbereich eine billigere Ausführung der Materialien verwandt wird. Qualität ist aber eine Frage der Ästhetik und der Nachhaltigkeit und nicht der Rendite. Um mehr Qualität in diese Stadt zu installieren, wäre es zum Beispiel denkbar, wenn Bauherr und Architekt von außen d.h. von international tätigen Architekten unterstützt werden und durch finanzielle Mittel. Dies gilt natürlich nur dort, wo die Eigenheiten Villingens nicht erkannt werden. Die Beteiligung von internationalen Architekten, die sich insbesondere in der Verbindung von Neu und Alt profiliert haben würde dazu führen, dass man von Ihnen lernt. Dass man ihre Gebäude in Erinnerung behält, vergleichbar mit der Blume-Post.

Erinnern wir uns an die Struktur Villingens- gedacht und nicht gewachsen und vergegenwärtigen wir uns, was architektonisch und städtebaulich Raum und Materie bedeutet. Gerade der Geistige Abdruck des "Positiven" und nicht des "Negativen" ist für uns Architekten und sicherlich nicht nur für uns von entscheidender Bedeutung. Die Pilgerstätten der Architektur halten uns in Bann, weil sie das Positive repräsentieren: Akropolis, Kölner Dom, Guggenheimmuseum, Reichstag etc. etc. Auch der Villinger christliche Kreuzraum ist so eine Pilgerstätte bzw. könnte sie werden.

Anhand zweier Beispiele möchte ich aufzeigen was die Qualität das Positive Villingens repräsentiert.

1.) Die Blume-Post ist bis heute im Gespräch, Sie kann aber nur im Gespräch geblieben sein, weil sie für Villingen etwas Positives repräsentierte. Ob dies an den Meinungen der Bürger liegt, oder an der Qualität des Baues muss der Leser entscheiden.

2.) In Villingen gab es einen Liedermacher, dessen Lieder heute noch "a de Fasnet" gesungen werden. Seine Taten sind allen Villingern bekannt. Gleichwohl werden seine Lieder manchen von uns überdauern. Eine Textstelle in einem Lied lautet:

"War des früher scheen im Städtle enge Winkel enge Gässle isre Homet. Wenn auch Zeiten kommen, gehen, die Erinnerung bleibt bestehen."

Durch die Verflachung in der Qualität der baulichen Entwicklung in der Villinger Innenstadt wird es immer weniger Erinnerung geben, denn die Frage stellt sich ob nach einem möglichen Abbruch das heutige K+L Gebäude uns ebenso lange in Erinnerung bleibt wie die Blume Post.

Bild 82 zeigt den mir zuletzt bekannten Abbruch in der Villinger historischen Innenstadt. Hier handelte es sich um 3 Gebäude aus dem Mittelalter. Den Zeitungsberichten war zu entnehmen das ihre Gestehung im 13 Jahrhundert zu datieren ist. Man wird sehen ob Ihre Ersatzgebäude zumindest eine ähnliche Qualität besitzen.

(B 82) 

Auf Grund des Dargelegten bin ich für den formalen und qualitativen Wiederaufbau der Villinger Kernstadt, wie er sich um das Jahr 1800 rekonstruieren lässt.

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